13 auf einem Floß

  • Aus bombardierten Städten sollten Kinder herausgebracht werden, doch ihr Schiff ging unter: Nun sind sie erschöpft auf einem Rettungsfloß gelandet.
  • Dass es sich um ein Floß der Medusa” – die symbolische Bezeichnung für eine tödliche Rettungsboot-Gemeinschaft – handelt, bleibt zunächst unsichtbar: Die Kinder halten zusammen …
  • … und teilen sich die vorhandenen Vorräte, wie hier die Versorgung aus dem Zwieback-Beutel.
  • Gemeinschaftlich wird gerudert und für die baldige Rettung gekämpft, angeleitet von Alan (Mitte), der mit seinem hilfreichen Geist die Stimmung prägt.
  • Dann kommt der Sturm und schüttelt die Gruppe gehörig durcheinander. Gespielt wurde diese bewegte und aufgewühlte Szene mit einer eindrucksvollen Tuch-Szenerie.
  • Doch dann taucht an Bord das Füchslein” auf, ein scheues, stummes, unzugängliches Kind – und plötzlich sind aus den zwölf Kindern 13 geworden: Das Unglück sitzt mit auf dem Floß.
  • Füchslein” wird zunächst einmal in einen abgesonderten Bereich abgeschoben, das kann Alan immerhin der abergläubisch verunsicherten Gruppe abringen.

Die Anordnung der Situation mutet seltsam an: Zwölf Kinder sitzen auf engem Raum, umgeben von Kisten, Tauen und Säcken, und harren in einer Mischung aus Unruhe und zwangsweiser Gelassenheit aus. Langsam entwickelt sich bei ihnen und beim Zuschauer ein Gefühl dafür, was denn passiert ist. Die Kinder sind ausgesetzt. Ein Schiff, das sie aus den bombardierten Städten des Zweiten Weltkrieges retten sollte, ist in Feuer geraten und explodiert – und nun gibt es Zweifel, ob Land in der Nähe ist oder schon alles verloren.

Die Gewalt des Meeres wird beschworen im kurzen Prolog zu Beginn und das Stichwort Medusa” wird chorisch skandiert. Das Wort verweist auf das gleichnamige Gemälde des französischen Romantikers Théodore Géricault (1791 – 1824), der sein Bild nach den bizarren Ereignissen um die 1816 gesunkene französische Fregatte Medusa” schuf: Die auf einem Floß zusammengepressten Überlebenden gerieten in eine Spirale aus Hunger, Gewalt und Kannibalismus. Nach diesem Vorbild entwickelte der Expressionist Georg Kaiser seinen Text und nahm Bezug auf einen Schiffbruch, als 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, Kinder aus englischen Städten nach Kanada evakuiert wurden und sich auf ein floßartiges Rettungsboot retten konnten.

  • Théodore Géricault (1791 – 1824) schuf mit seinem Bild Das Floß der Medusa” (1819) eine ikonische Darstellung für eine zerstörerische Zwangsgemeinschaft in existenzieller Gefahr.

Dort gibt es Vorräte wie Zwieback und Wasser, die aber klug und umsichtig von zwölf Kindern geteilt werden müssen. Über sieben Tage zieht sich die Floßfahrt – und gerät auch ins Wanken. Da kommt ein Sturm auf, da versuchen die Kinder zu rudern und kriegen gleich rissige, blutende Hände, da wird mit den Füßen gestampft und getrommelt oder ein Kleidungsstück als Wimpel aufgezogen, um sich bemerkbar zu machen … vor allem aber taucht ein 13. Mitfahrer auf, scheu wie ein Füchslein, der kein Wort spricht. Dieser anonyme Gast, der rasch den Namen Füchslein” erhält, erregt nicht nur durch sein verstörendes Verhalten Unruhe, sondern vor allem durch seine Rolle als Unglück bringender Dreizehnter.

Die Kinder berichten, wie in den Familien ein Gastmahl zu dreizehnt stets Ängste auslöste. Schnell gerät Füchslein”, den Karla Metzner mit verstörender Eindringlichkeit verkörpert, ins Abseits, nur von dem hochempathischen Jungen Alan gestützt und akzeptiert, den Ferdinand Binder mit starker Sanftheit spielt. Die zentrale Gegenspielerin ist das Mädchen Ann (am Montag von Esther Amann, am Dienstag von Alice Iranzo Oliveira dargestellt), die mit Aberglauben, Härte und gruseliger Prophetie eine negative Stimmung schürt.

  • Die neue Stichwortgeberin ist Ann, sie legt in religiösen, ethischen und familiären Begründungen dar, warum das Boot verloren ist, wenn Füchslein” weiter mit an Bord ist.
  • Symbolisch feiern Alan und Ann ihre Hochzeit, doch auch die Verbindung zwischen den beiden kann den Gegensatz von Hilfsbereitschaft udn Überlebensangst nicht auflösen.
  • Alan kann zumindest dafür sorgen, dass eine Flaschenpost losgeschickt wird, die um Rettung und Hilfe flehen kann.
  • Und tatsächlich, das rettende Flugzeug kommt. Doch zu diesem Zeitpunkt ist Füchslein” schon nicht mehr an Bord, heimlich haben ihn die verängstigten Kinder hinter Alans Rücken über Bord gestoßen.
  • Alan weigert sich, sich retten zu lassen, wenn auch Füchslein” die Rettung nicht mehr erreicht. Allein bleibt er auf dem Floß zurück – und auch der Sturm kommt zurück …
  • … und legt sich wie ein letztes Kleid auf den heldenlosen Helden dieser verstörenden Fahrt. Sein letzter Satz: Es ist vollbracht!”

Unter den sieben Tagen der Irrfahrt ragt der Sturmtag heraus: Das Unwetter wird mit einem riesigen Tuch gespielt, das sich unablässig aufbäumt, die Kinder paarweise hin und her wirft und zuletzt wie eine Wasserblase die gesamte Bühne nahezu sprengt – ein überaus eindrucksvolles Bild. Und es wiederholt sich am Schluss, im Moment der Rettung durch ein Flugzeug: Denn die Kinder haben tatsächlich – ohne Alans Wissen – Füchslein” über Bord geworfen, angestiftet durch Anns abergläubisches Heidentum. Nun weigert sich Alan, sich retten zu lassen, und das Publikum erlebt, wie ihn der Sturm mitnimmt und fortreißt wie einen zweiten Christus. In den Schlussworten Es ist vollbracht!” wird dies deutlich.

Unter der Leitung von Theaterpädagogin Juliana Bernecker vom Staatstheater Augsburg boten die 13 Spielerinnen und Spieler bildreiche Szenen und schöne Charakterzeichnungen. Die Zuspitzung der Ereignisse blieb insgesamt etwas zaghaft, verfehlte aber nicht ihre Wirkung beim Publikum. Alle Zuschauer im Saal spürten, dass hier Verstörendes verhandelt wurde, dem sich die begeisterten Spielerinnen und Spieler engagiert hingaben. Auch die Bühnentechnik von St. Stephan brachte mit Lichteffekten, wie etwa dem Stroboskop, viel Atmosphäre in das temporeiche Stück.

Die dystopische Stimmung brach zuletzt in anerkennendem wie berührtem Applaus!

  • Großen Applaus erhielten die 13 Spielerinnen und Spieler für ihr Stück, hier mit ihrer Spielleiterin, der Theaterpädagogin Juliana Bernecker vom Staatsthetaer Augsburg.