13 auf einem Floß
Die Anordnung der Situation mutet seltsam an: Zwölf Kinder sitzen auf engem Raum, umgeben von Kisten, Tauen und Säcken, und harren in einer Mischung aus Unruhe und zwangsweiser Gelassenheit aus. Langsam entwickelt sich bei ihnen und beim Zuschauer ein Gefühl dafür, was denn passiert ist. Die Kinder sind ausgesetzt. Ein Schiff, das sie aus den bombardierten Städten des Zweiten Weltkrieges retten sollte, ist in Feuer geraten und explodiert – und nun gibt es Zweifel, ob Land in der Nähe ist oder schon alles verloren.
Die Gewalt des Meeres wird beschworen im kurzen Prolog zu Beginn und das Stichwort „Medusa” wird chorisch skandiert. Das Wort verweist auf das gleichnamige Gemälde des französischen Romantikers Théodore Géricault (1791 – 1824), der sein Bild nach den bizarren Ereignissen um die 1816 gesunkene französische Fregatte „Medusa” schuf: Die auf einem Floß zusammengepressten Überlebenden gerieten in eine Spirale aus Hunger, Gewalt und Kannibalismus. Nach diesem Vorbild entwickelte der Expressionist Georg Kaiser seinen Text und nahm Bezug auf einen Schiffbruch, als 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg, Kinder aus englischen Städten nach Kanada evakuiert wurden und sich auf ein floßartiges Rettungsboot retten konnten.
Dort gibt es Vorräte wie Zwieback und Wasser, die aber klug und umsichtig von zwölf Kindern geteilt werden müssen. Über sieben Tage zieht sich die Floßfahrt – und gerät auch ins Wanken. Da kommt ein Sturm auf, da versuchen die Kinder zu rudern und kriegen gleich rissige, blutende Hände, da wird mit den Füßen gestampft und getrommelt oder ein Kleidungsstück als Wimpel aufgezogen, um sich bemerkbar zu machen … vor allem aber taucht ein 13. Mitfahrer auf, scheu wie ein Füchslein, der kein Wort spricht. Dieser anonyme Gast, der rasch den Namen „Füchslein” erhält, erregt nicht nur durch sein verstörendes Verhalten Unruhe, sondern vor allem durch seine Rolle als Unglück bringender Dreizehnter.
Die Kinder berichten, wie in den Familien ein Gastmahl zu dreizehnt stets Ängste auslöste. Schnell gerät „Füchslein”, den Karla Metzner mit verstörender Eindringlichkeit verkörpert, ins Abseits, nur von dem hochempathischen Jungen Alan gestützt und akzeptiert, den Ferdinand Binder mit starker Sanftheit spielt. Die zentrale Gegenspielerin ist das Mädchen Ann (am Montag von Esther Amann, am Dienstag von Alice Iranzo Oliveira dargestellt), die mit Aberglauben, Härte und gruseliger Prophetie eine negative Stimmung schürt.
Unter den sieben Tagen der Irrfahrt ragt der Sturmtag heraus: Das Unwetter wird mit einem riesigen Tuch gespielt, das sich unablässig aufbäumt, die Kinder paarweise hin und her wirft und zuletzt wie eine Wasserblase die gesamte Bühne nahezu sprengt – ein überaus eindrucksvolles Bild. Und es wiederholt sich am Schluss, im Moment der Rettung durch ein Flugzeug: Denn die Kinder haben tatsächlich – ohne Alans Wissen – „Füchslein” über Bord geworfen, angestiftet durch Anns abergläubisches Heidentum. Nun weigert sich Alan, sich retten zu lassen, und das Publikum erlebt, wie ihn der Sturm mitnimmt und fortreißt wie einen zweiten Christus. In den Schlussworten „Es ist vollbracht!” wird dies deutlich.
Unter der Leitung von Theaterpädagogin Juliana Bernecker vom Staatstheater Augsburg boten die 13 Spielerinnen und Spieler bildreiche Szenen und schöne Charakterzeichnungen. Die Zuspitzung der Ereignisse blieb insgesamt etwas zaghaft, verfehlte aber nicht ihre Wirkung beim Publikum. Alle Zuschauer im Saal spürten, dass hier Verstörendes verhandelt wurde, dem sich die begeisterten Spielerinnen und Spieler engagiert hingaben. Auch die Bühnentechnik von St. Stephan brachte mit Lichteffekten, wie etwa dem Stroboskop, viel Atmosphäre in das temporeiche Stück.
Die dystopische Stimmung brach zuletzt in anerkennendem wie berührtem Applaus!