Belebende Ruhe
„Kassia“ steht auf den Plakaten – ein wohlklingender Name, der aber nur wenigen etwas sagt. Nach dem „Kassia“-Konzert des P‑Seminares Griechisch unseres Gymnasiums ist dieses Unwissen Vergangenheit: Jede und jeder der rund 200 Besucher ist verändert aus diesem Abend gegangen. Wir wissen nun einiges über die erste Komponistin Europas, vor allem aber schwingt Kassias Musik nach mit ihrer klaren, die Zeit aufhebenden, befreiend-belebenden Ruhe.
Vokalmusik aus der Metropole Byzanz des 9. Jahrhunderts steht höchst selten auf den Konzertprogrammen. Mit dem international renommierten Ensemble „VocaMe“ hat unser Projektseminar Griechisch ausgewiesene Profis für diese Klänge an unsere Schule und in unsere Stadt geholt. Die vier Sängerinnen Sigrid Hausen, Sarah M. Newman, Petra Noskaiová und die blinde Gerlinde Sämann wurden dabei von Michael Popp auf antiken Instrumenten wie Fidel, Kurzhalslaute und Santur, einem frühen Typus der Zither, begleitet.
Zu entdecken gab es vielerlei. Da ist zunächst Kassias Kompositionsstil: schnörkellose Melodieführung, ganz der Textdarbietung gewidmet, zwischen Einklang und Bordunquinte auch reibungsfreudig, aber immer weitgespannt, linear, gleitend, ganz auf den Raumklang konzentriert. Und da sind die makellosen, unpretentiös-souveränen, vibratolosen Stimmen der vier Sängerinnen: tongesättigt und doch sehr konturiert, schwebend und doch geerdet, leicht und doch lebendig. Diese vier Akteurinnen singen solistisch und im Quartett, verteilen sich zu Stereo- und Quattro-Effekten im Raum, singen schreitend und führen sich gegenseitig auf fast tragödisch anmutende Weise in diese Wechselinszenierungen hinein. Seine eigene Wirkung tat der Kirchenraum der Stiftskirche St. Stephan, der in belebendes Kerzenlicht getaucht war.
Kassia als Dichterin ist schwerer zu greifen, das Griechisch dieser Hymnen und Troparien, die äußerst kurzweilig und variationsreich sind, ist erläuterungsbedürftig. Und hier schlug die Stunde der neun Mitglieder des Projektseminars Griechisch vom Gymnasium bei St. Stephan: Begleitet von klug konzipierten Bildern und Texteinblendungen auf einer Großleinwand in der linken Rundung des Hauptraumes, führten sie die Zuhörer in das ereignis- und geistreiche Leben der Kassia im Byzanz des 9. Jahrhunderts ein. Sie erläuterten Wesen und Übermittlung der byzantinischen Musik und der Orthodoxie. Und sie legten in der Mitte des Konzertes zwei gut fassbare Interpretationen vor, die sich den Zentralstücken des Abends widmeten: Eine legendenhafte Hymne über „Die große Märtyrerin Christina“ und das bibeldeutende „Troparion für Maria Magdalena“, das in der Orthodoxie bis heute in der Karwoche seinen festen Platz hat.
Im Hintergrund schwang noch ein weiterer Grundton mit: Was die Schülerinnen und Schüler boten, war eine Benefizveranstaltung. Durch die Einwerbung von Sponsorengeldern (Kurt-und-Felizitas-Viermetz-Stiftung, Rotaryclub Augsburg, Pianohaus Hermes & Weger, UniCredit und Musikhof) war das Konzert komplett finanziert und bei freiem Eintritt gesichert. Jeder Cent, der in die Spendenkörbchen fiel, kann daher dem griechischen Kinderhilfswerk „Hamogelo“ zugute kommen. Hier werden Kinder aus in Not geratemen Familien im krisengeschüttelten griechischen Sozialsystem auf Basis privater Initiative bei Krebserkrankungen und Missbrauch ehrenamtlich unterstützt. Über 1.600 Euro kamen zusammen und zeigen, dass der Einsatz dieser Projektgruppe unseres Abiturjahrganges unter der Federführung unserer Griechisch-Fachbetreuerin Anja Reichelt einen weiten Bogen gespannt hat: Von Byzanz bis Augsburg, vom 9. Jahrhundert bis heute und vom Geschenk eines fast zeitlos wirkenden Konzertes bis zur Hilfe für Schwache. Ein Abend für die Ewigkeit und doch mit beiden Füßen auf dem Boden unserer Zeit, dank einer starken, kreativen, zu Recht wiederentdeckten Frau, dank Kassia.