Lebendig sein heißt Wege gehen
Der 16-jährige Joe soll an einer Abendveranstaltung mit Vortrag und Diskussion teilnehmen: Hektisch tippt er auf seinem Handy herum, während er „Kein Stress!” murmelt. „Wie lange dauert das alles?”, will er wissen – und wirkt nicht nur halbinformiert und unkonzentriert, sondern auch reichlich motivationslos. Anna, gleich alt wie Joe, löst die Situation auf: So stellt man sich landläufig die Menschen aus der „Generation Z” vor, doch können die Jungen selber berichten, dass das wohl nur Zerrbilder und Pauschalisierungen sind.
Geladen hatten Förderverein und Gymnasium bei St. Stephan zum ersten innovativen „Zukunftsforum”, das einmal jährlich unter dem Themenkreis „Jugend – Zukunft – Veränderung“ spannende Köpfe mit jungen Menschen zusammenbringen will. Das Forum am Freitag, den 8. März 2024 im Kleinen Goldenen Saal stand unter dem Motto „Im Gespräch mit XYZ – Impulse für die Generation Zukunft“. Für einen Impulsvortrag war der Generationenforscher Rüdiger Maas geladen, der im Augsburger Theaterviertel sein „Institut für Generationenforschung” betreibt und mit seinen empirischen Forschungen zur „Gen Z”, den Geburtsjahrgängen 1995 – 2010, internationale Maßstäbe gesetzt hat.
Dem Label „Generationenversteher”, das Rüdiger Maas anhaftet, wurde er vor dem voll besetzten Kleinen Goldenen Saal sehr schnell gerecht. Einleitend räumte er gleich mit Fehldeutungen auf: Die Generationeneinteilung gibt es gar nicht, sie geht auf den 1991 erschienenen Roman „Generation X” des kanadischen Autors Douglas Coupland zurück und wird seitdem nachträglich in Altersgruppen hineingetragen. Grundlegend ist in der Begegnung der Generationen das – Jahrtausende alte – Vorurteil, die Jungen seien faul und Hoffnung in die Zukunft aussichtslos. Dem stimmen freilich nicht nur ältere zu, sondern die Jungen selber. Gleichzeitig hat sich die Generationenbeziehung radikal verändert, denn heutige Erwachsene sind anders als noch vor wenigen Jahrzehnten. Wenn auch die Eltern ungebrochen jung, dynamisch und lebenshungrig sind, ergeben sich für Heranwachsende andere Formen der Wertigkeiten. Eltern sind heute die ersten und bedeutsamsten Berater von Jugendlichen, so dass die Generationen viele Werte teilen. Allerdings haben sich die Freiräume Heranwachsender massiv verengt, was Maas mit dem Satz formulierte: „Am Kinderspielplatz sehen Sie heute mehr Eltern als Kinder.”
Im Bereich der Berufswahl und der Selbstentfaltungswünsche zeigen Maas’ Forschungen deutlich, dass Arbeit früher nicht positiv konnotiert war. Sie musste eben sein. Diese Auffassung hat sich schon bei den Erwachsenen geändert, die ein faires, teamorientiertes Arbeitsklima wünschen. Das setzen Heranwachsende heute schon grundsätzlich voraus. Und da die Generation Z die kleinste historische Altersgruppe ist, sind plötzlich Konkurrenz und Leistungsdruck weggefallen. Der Druck, den die Generation Z spürt, kommt von anderen Seiten: Es ist die riesige Auswahl, etwa von Berufen und Studiengängen, von Unterstützungsoptionen bis hin Streamingangeboten im Internet, wodurch die Jungen sogar noch in ihrer Freizeit in die „Optionsdepression” fallen. Am Beispiel von Kommentierungen im Internet machte Maas das deutlich: Wer unter einem Web-Angebot eine negative Bewertung setzt, hat dreifach versagt: Er hat das Falsche gewählt, er hat für das Falsche Zeit aufgewendet und er macht es auch noch für jedermann im Netz sichtbar, dass er augenscheinlich versagt hat.
So wird es zum zentralen Dilemma der Generation Z, dass Erfahrung – wie etwa der Erfahrungsvorsprung der Älteren – in einer sich immer rascher verändernden Welt rapide an Wert verloren hat. Orientierung und Entscheidungsgewissheit sind einer permanenten Überforderung und unausweichlichem Druck gewichen. So mündete Maas’ Impulsvortrag in die Frage, wie der Druck genommen werden könnte, und hielt ein überraschendes Plädoyer für die Langeweile. Das Nichtstun, das bewusste Aussteigen aus dem Optionenkarussell auf Zeit könnte ein Schlüssel zu einem bewussten Leben werden.
Das Zukunftsforum ging im zweiten Teil in eine Podiumsdiskussion über, die neben Rüdiger Maas mit weiteren hochkarätigen und vielversprechenden Diskutanten besetzt war. Von den Veranstaltern des Forums, dem Gymnasium bei St. Stephan und dem Verein seiner Freunde und Förderer, war angekündigt, dass aus den Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft „Mutmacher und Ermunterer für junge Menschen” werden sollten. Und dieser Aufgabe wurden Nadine Despineux, CEO Marine & Industry bei der Augsburger Renk Group, Andreas Segmüller, bis 2017 Mitglied der Geschäftsführung des Familienunternehmens Segmüller, heute Heilpraktiker, sowie Dr. Stephanie Waldow, Professorin für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg überaus gerecht. Für die Zuhörer war es überaus reizvoll, in die Lebens- und Berufswege der Diskutanten in sehr lebendigen, wachen und überaus ehrlichen Erzählungen hineinblicken zu können. Moderator Dr. Jan M. König, seinerseits ein Altstephaner, gelang es, in nahezu allen Lebensgeschichten grundlegende Faktoren des späteren Lebensweges freizulegen. So wurde einhellig spürbar, dass frühe Eindrücke und Prägungen aus Familie und Kindheit, die ja in jedem Fall sehr spezifisch sind, sich bei allen Beteiligten früher oder später durchgesetzt haben. Was von außen wie ein „Bruch” oder eine „Lebenswende” aussieht, ist oft nur die Wendung hin zu einem konsequenten, selbstbestimmten Weg.
Deutlich wurde in vielen Beiträgen des Podiums: In einer Wirklichkeit, die vielfach geschönt, gefälscht oder aufgeblasen ist (vom gefakten Lebenslauf bis zu einem Praktikum, das nur für eine „bessere Performance” durchlaufen wird), tritt die Bedeutung der Persönlichkeit und ihrer Authentizität immer stärker in den Mittelpunkt. Stephanie Waldow konnte das von Universitätsseite bestätigen: Viele Studierende sehen heute vor allem ihr Ziel, ihren Beruf, ihre Endmarke – und verlieren dabei den Blick für die vielen Schritte eines Weges, der früher als „Bildungsweg” mit hoher Wertschätzung versehen war und Leidenschaften und Mut freisetzen konnte. Die verschulte Universität steht dem merklich im Wege. Rüdiger Maas plädierte mehrfach für eine neue Wahrnehmung handwerklicher Berufe, in denen viel Potenzial zu Autonomie, Selbstentfaltung und Selbstwirksamkeit stecke. Und auch Nadine Despineux kam wiederholt darauf zu sprechen, dass Risikobereitschaft, Mut zu Aufbrüchen und das Annehmen von Herausforderungen Faktoren des Gelingens darstellen. Andreas Segmüller schließlich deutete die überstarke Orientierung an einem „Maximum” mit einem einleuchtenden Bild aus dem Skisport: „Schussfahrt ist auf Dauer langweilig!”
In vielen Redebeiträgen steckte ein erhebliches Potenzial für tiefergehende Betrachtungen: Reflektiert wurde die Stärkung Jugendlicher, ihren Tendenzen und inneren Gewissheiten zu vertrauen. Zur Sprache kam die Bedeutung der Künstlichen Intelligenz, die vor allem anspruchsvolle, akademisch geprägte Berufe verändern wird und Menschen herausfordern wird, mit schnellen Entwicklungen und Progressionen umzugehen. Angedeutet wurde der Mut, biografische Wendemarken als Chancen aufzufassen, die der Fähigkeit bedürfen, den „rechten Augenblick” wahrzunehmen und zu ergreifen. Und gesprochen wurde – anlässlich des Weltfrauentages – über die Bedeutung von Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen. Dabei wurde aber sofort auch sichtbar, dass Diversität, Buntheit und globales Miteinander viel zentraler sind als der Gegensatz der Geschlechter. Alles in allem mündete die vielschichtige Diskussion ein in zentrale Übereinstimmungen, die mit Begriffen wie Neugier, Mut und „Schritt für Schritt” gefasst werden konnten.
Mitgestaltet wurde die lebendige und anregende Veranstaltung des Zukunftsforums vom Streichquartett des Gymnasiums bei St. Stephan mit dem Tango „Evening Shadows” von Leslie Searle. Christine Sommer, die Vorsitzende des Fördervereins von St. Stephan, sprach ihren herzlichen Dank an die Gäste aus und übergab diesen Dank in Gestalt eines „Zukunftsweines” einer östereichischen Kelterei.
Als Fazit blieb eine ermutigende Einsicht für alle Besucher, junge wie alte: Letztlich ist jeder Berufsweg und jedes gelebte Leben – auch und nicht nur für die Generation Z – eben doch etwas Einmaliges und höchst Individuelles. Wenn das Zukunftsforum auf eines Lust gemacht hat, dann auf diese grundmenschliche Bereitschaft, seinen persönlichen Weg zu gehen und dafür Verbündete zu finden.