Völker und Generationen – und ein Brückenbauer
Es war ein Tag der Begegnung und des offenen Dialogs mit einer starken Stimme Israels: die Gesprächsrunde zwischen Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland, und rund 150 Schülerinnen und Schülern aus Augsburg und Umgebung. Eingeladen zu diesem diskussionsreichen Vormittag hatte gemeinsam mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft das Gymnasium bei St. Stephan in den Kleinen Goldenen Saal.
Wenn verschiedene Generationen zusammenkommen, kann dies Unverständnis, Kopfschütteln, auch einmal Ratlosigkeit bedeuten auf beiden Seiten. Wer wüsste dies nicht besser als ein Großvater, der das Gespräch mit seinen Enkeln sucht, beteuerte Avi Primor eingangs der Begegnung. Der 83-jährige ehemalige Diplomat erwies sich dann im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern des Maria-Ward-Gymnasiums, des Holbein-Gymnasiums, des Peutinger-Gymnasiums, des Gymnasiums Königsbrunn sowie des Gymnasiums bei St. Stephan als umsichtiger Brückenbauer zwischen den Generationen, der mittels persönlichen Erinnerungen Bezüge aufzeigen konnte zwischen eigener Lebensgeschichte und der Geschichte des Staates Israel sowie der Geschichte Deutschlands.
In diesem Sinne wurde Avi Primor, der eine rege Beziehung zur Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg pflegt, von Ministerialbeauftragten Peter Kempf empfangen als Mann, „der selbst in die Geschichte eingegriffen“ habe. So berichtete Primor, der 39 Jahre im Dienst des israelischen Außenministeriums gestanden hatte, eingangs von der rund 70-jährigen Geschichte des Staates Israel, den er als Jude als Voraussetzung empfunden habe, um ein „Leben in Würde“ führen zu können. Er sprach von der durch die Vereinten Nationen geplanten Zwei-Staaten-Lösung und von Kriegen, die Israelis und Araber um das Land zwischen Mittelmeer und Jordan in der Vergangenheit geführt haben, als Teil „meiner Geschichte“.
Und er berichtete von der schwierigen Annäherung an Deutschland, das Heimatland seiner Mutter, die durch glückliche Umstände in den 1930er Jahren nach Israel gekommen war und aus Liebe dort blieb. Erst als die Mutter, deren Familienangehörigen von den Nationalsozialisten ermordet worden waren, die alte Heimatstadt Frankfurt am Main in den 1980er Jahren wieder besuchte, begann sich dies zu ändern. Davor galt in der Familie: „Deutschland existiert nicht“. Mit Offenheit ging Avi Primor dann auf die Fragen der Schülerinnen und Schüler ein, die sich auf seine persönliche Beziehung zu Deutschland, die deutsch-israelischen Beziehungen, das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern, seine Einschätzung der Jerusalem-Frage, die Rolle der Europäischen Union im Nahost-Konflikt, die Rüstungsanstrengungen Israels sowie seine Beurteilung eines möglichen Friedens im Nahen Osten bezogen. Primor vermittelte hier den Eindruck eines realistischen Pragmatikers, der um die Kraft zwischenmenschlicher Beziehungen wisse, so in Bezug auf das deutsch-israelische Verhältnis seit 1948: „Haltungen von Staaten können schwanken. Doch die menschlichen Beziehungen, die haben wir entwickelt. Und diese haben die Lage verändert zwischen Deutschland und Israel.“
Eine ähnliche Erfahrung hat Primor bei seiner Mutter beobachten können: „Sobald meine Mutter in Frankfurt wieder Kontakt mit deutschen Menschen hatte, waren ihre Gespenster weg.“ Auch einen Weg zum Frieden zwischen Palästinensern und Israel sieht der ehemalige Diplomat nur auf der Basis einer gegenseitigen Annäherung: Den Palästinensern sollte ein anerkannter Staat ermöglicht werden, die Siedlungspolitik Israels im Westjordanland sollte beendet, israelische Siedlungen dort geräumt und die Besatzung aufgehoben werden. Primor betonte, dass laut Umfragen eine Mehrheit der Israelis diesen Punkten zustimmen würden im Gegenzug für eine garantierte Sicherheit.
Bis zuletzt zeigte sich der ehemalige Diplomat im Umgang mit den Jugendlichen zugewandt und verständig – als ein Brückenbauer zwischen den Generation und Ländern.