Wirbelwindtheater mit „In dir”-Effekt
Vom Bauernland ins Zauberland und zurück führte das Stück der Unterstufentheatergruppe in diesem Jahr. Das Reisen vollzieht sich per Wirbelsturm und mit Zauberringen. Ja, „Die Zauberin von Zou” war stürmisch, wirbelnd und zauberhaft. Angelehnt an Lyman Frank Baums „Zauberer von Oz” schuf die 30-köpfige Gruppe eine lebendige und geistreiche Adaption: Die vom Wirbelwind Verwehten sind Zwillinge und heißen Doro und Thea, der Zauberer ist eine Zauberin und mit dem Zocken von Games beschäftigt – und überhaupt spielt hier jede und jeder alles: Kuh oder Huhn, Schwein oder Katze, Munchkin (das sind die „Ureinwohner” vom Lande Zou), Stroh, Rost, Mohnblume und Online-Spielfigur.
Erhalten geblieben – und zurecht! – sind die drei Sympathieträger, die „Schwächlinge”: Vogelscheuche, Blechfrau und Löwe. Sie sind auf der Suche nach Verstand für den Strohkopf der Vogelscheuche, nach einem Herz für die kalt-kantige Blechfrau und Mut für den feigen Löwen.
Zunächst geht es aber auf dem Bauernhof von Doro und Thea los, wo Onkel und Tante vor all der Arbeit keine Zeit zum Reden haben. Dabei ist Hund Toto in Gefahr, ins Tierheim zu müssen. Doch der Ruf „Wir müssen reden!” verhallt ungehört. Als der Wirbelsturm naht, kommen alle in den Schutzbunker, nur die Zwillinge und Hund Toto schaffen es nicht mehr hinein. Eben waren noch 25 chaotisch-lebendige Tiere auf der Bühne, plötzlich bilden sie eine undurchdringlich-leblose Wand.
Hier war erstmals zu sehen, was diese kraftvolle Theaterstunde unter Leitung der Theaterpädagogin Sarah Hieber vom Theater Eukitea in Diedorf prägen sollte: Blitzartige Metamorphosen und fast unmerkliche Verwandlungen auch riesiger Trauben von spielfreudigen Kindern von einer Szenerie in die nächste. In diesem Spielkonzept gibt es gar keine Haupt- oder Nebenrollen, weil häufig alle 30 Mädchen und Buben auf der Bühne sind und selbst Abstraktes in lebendige Bilder packen:
Der Munchkin-Chor der Zou-Bewohner, frech, übermütig und provokativ; das Strohgerüst der Vogelscheuche, das sich langsam zurückzieht, als das Stangenwesen wieder Stehen und Laufen lernt; Hirnmasse aus zuckenden Finger-Neuronen, während die Vogelscheuche von mehr Verstand träumt; betörende Pflanzen in einem besinnungslos machenden Zauberwald, den die ahnungslosen Reisenden nur knapp überleben; der Rosthaufen, in dem der Blechmann steckt, ehe er sich herauszustaksen traut; eine duckmäuserische Menschenmasse, die sich willenlos den Gesten der herrischen Westhexe anpasst; Internet-Spielfiguren, die so herrlich zappeln, wackeln und umfallen, dass man der Zeichentrick-Ästhetik nicht entgehen kann.
Neben all diesen Eindrücken können die Einzelrollen dennoch bestehen, denn mit Judith Becker (Vogelscheuche), Emma Nordmeyer (Blechfrau) und Raoul Pasculli (Löwe) sind sie blendend besetzt: Jede Figur versteht es, im Bewegungsablauf, in den Gesten, in oft erstaunlicher Mimik oder im Tonfall ihre charakteristischen Wesenszüge spürbar werden zu lassen. Die Zwillinge Doro und Thea (Anna Matzak und Charlotte Herrmann) mit Hund Toto (Teresa Sevilla) müssen sich ganz schön anstrengen, in diesem Wirbelsturmtheater mit ihren sanftmütigen und unaufgeregten Rollen auch wahrnehmbar zu bleiben.
Und so zieht das Spiel durch eine Fülle von Szenen unterschiedlichster Gemütslagen. Höhepunkte sind der Flug über einen tiefen Graben auf dem Rücken des Löwen oder die Begegnung mit der reifberockten Westhexe, die sich durch gruselige Eiseskälte einerseits und – nach dem Tod des bösen Weibes durch Spülwasser – andererseits durch knallbunt-tanzenden Konfettijubel auszeichnet. Oder die Rückblende in die enttäuschte Liebesgeschichte der Blechfrau, die vor lauter Tränen zum Einrosten führte. Oder der Moment, wo die Blechfrau einen zertretenen Käfer beweint. Oder …
All diese Bilder sind mit feinsinniger, unauffällig emotionalisierender Beleuchtung ausgestattet, gesteuert vom Lichtmischpult aus, wo die Technikgruppe unter Physiklehrer Marcel Zapf wieder Großes leistet. Das gilt auch in gleicher Weise für den Ton mit tollen, überraschenden, Mitfühlen und Mitfiebern auslösenden Einspielungen. All das trägt zu einem pfiffigen Finale hin: Denn die Zauberin von Zou kann gar nicht zaubern. Sie verdaddelt ihre Zeit an der Spielkonsole und lebt in einer Welt der Levels. Und trotzdem spürt sie, dass die drei „Minderbemittelten” schon längst das in sich tragen, was sie sich wünschen: Verstand, Herz und Mut. Als Zuschauer kann man nur sagen: „Stimmt! Wir waren ja dabei, als es sich zeigte.”
„It’s all in you – Zou!” Dieser „In-dir”-Effekt kommt wunderbar indirekt und unaufdringlich. Und zugleich lassen die Kinder auf der Bühne ihr Publikum das eine knappe Stunde spüren, dass da in jedem und jeder unglaublich viel steckt.
Großer Dank an Sarah Hieber für einen knallbunten, facettenreichen und mitreißenden Theaterabend in vielen Tonarten und Gemütslagen. Unterstützt von Melanie Thum, die über ein halbes Jahr als Assistentin mitwirkte, gelang es, die große Gruppe zu einem solch packenden Spiel und zu ansteckender Gemeinschaftserfahrung zu führen. Das Schlussbild zeigt es: Dank der Ruhe im Auge des Wirbelsturms und dank der Einsicht in den „In dir”-Effekt macht der nochmals vorgetragene Satz „Wir müssen reden!” ziemlich viel Mut.