„Aber Sie müssen doch Gatsby kennen …“

  • Der große Gatsby”, eine Bühnenrevue ganz aus der Hand von Schülerinnen und Schülern, holte die Golden Twenties” mit viel Dynamik und Tanz auf die Bühne in St. Stephan.
  • Bei Gatsby – den keiner so recht zu kennen scheint – werden große Parties gefeiert. Und alle gehen hin und vergnügen sich auf exzellente Weise.
  • Tom und Daisy Buchanan (links, Elias Herbst und Josefine Unseld) geraten in den Blick von Nick Carraway (Mitte, Rhona Spatz), aus dessen Blickwinkel die Handlung gesehen wird. Immer mit dabei ist Jordan Baker (rechts, Livia Schuierer).
  • Nicht nur auf der Bühne zeigten die vorwiegend aus der Oberstufe kommenden Schülerinnen und Schüler ihr Können, sondern auch vor der Bühne im Orchester. Sogar das Dirigat – hier Jonathan Walcher – übernahmen die Heranwachsenden.
  • Vielfältige und unterschiedliche Tanznummern gaben der Gatsby”-Aufführung in manchen Passagen fast den Charakter einer Revue.
  • Der Klangkörper von rund 25 Musizierenden war bei Jonathan Walcher (hier im Bild) und Luisa Schwarz, die sich im Dirigat abwechselnden, in guten Händen.
  • Unter den gestrengen Augen Gottes”, die doch nur das verfallene Plakat eines Augenarztes sind, breitet sich der moralische Verfall der Gesellschaft aus.

Ein 20-köpfiges Ensemble betritt die Bühne der Großen Aula, ein genauso großes Orchester den provisorischen Orchestergraben‘ davor. Leise Streicher und Holzbläser eröffnen den Abend, ein Anruf aus dem Off die Erzählung – die Stimme am anderen Ende fragt nach dem großen Gatsby‘, doch er ist tot.

Der Große Gatsby“, ursprünglich ein Roman von F. Scott Fitzgerald aus dem Jahr 1925, dreht sich um den berühmt-berüchtigten James Gatz, der im Buch – und auch an den zwei Vorstellungsabenden – weitgehend ein Mysterium bleibt. In flüchtigen Momenten zwischen exzessiven New-York-Parties und protzigen Abendessen, die Gatsby‘ und seine wohlhabenden Freunde veranstalten, erfährt man kleine Fetzen, die ein unvollständiges Bild von Gatsby ergeben: Jeder kommt und geht, wann er will“, heißt es im Textbuch.

Nick Carraway, ebenso im Unklaren über Gatsbys Person und die wahren Abläufe innerhalb der High Society, gerät in die Kreise der Schickeria und reicht einem als Zuschauer die Hand dabei, die brodelnden Konflikte der elitären Gruppe aufzudecken. So sind auch die zentralen Fragen, die die Inszenierung zu beantworten versucht, gestellt: Ist in der Ekstase, die der Mensch sich – in den 1920er Jahren wie heute – durch Vermögen, Rauschmittel und kurzweilige Beziehungen verschafft, noch Platz für Moral, reflektiertes Handeln und wahre Liebe? Und lebt es sich in der Scheinwelt, die dieser Rausch verspricht, wirklich leichter?

  • Da sind sie zusammen: Nick Carraway, der Erzähler” (Mitte, Rhona Spatz), Jay Gatsby, der Partylöwe” (rechts, Abischag Prem), mit seiner heimlichen Liebe Daisy Buchanan (hinten, Josefine Unseld) und (ganz links) die kühle Golfsportlerin Jordan Baker.
  • Der alles umkehrende Unfall: Daisy hat die Geliebte ihres Mannes totgefahren und begeht Fahrerflucht. Die allezeit so selbstbewusste Upper Class verliert ihe Unberührbarkeit.
  • Daisy geht mit sich selbst ins Gericht – und reißt die Augen von der Wand: Einer der ganz starken Momente der Gatsby”-Aufführung der Oberstufenschülerinnen und ‑schüler.

Selbstgemacht zu 100 Prozent von kreativen Heranwachsenden

In einem von Schülerhand neu aufgesetzten Musiktheater gehen die Ober- und Mittelstufen-Schülerinnen und ‑Schüler diesen Fragen nach. Dabei stellt die Gruppe von Musikern, Tänzern und Schauspielern die Handlung in zehn dichten Szenen dar, welche in fließenden Übergängen sich zu Tanz- und reinen Musikeinlagen wandeln. Von einem Musiktheater oder Musical im Stil von Andrew Lloyd Webber ist wohl nicht zu sprechen, da die Gesangseinlagen auf eine Arie („Polnische Lieder no. 13“ von Frederic Chopin) beschränkt sind, welche zwar wirkungsvoll gesungen und dargestellt wird, allerdings etwas aus der Reihe fällt.

Dennoch ist das Zusammenspiel zwischen Theater und Musik durchgehend präsent: Mal untermalt das Orchester die teils zutiefst tragischen Handlungen, ein andermal ist es eine atmosphärische Intensivierung der Party-Szenen‘. An dieser Stelle sind auch die überaus eindrucksvollen Tanz-Choreographien unter der Leitung von Denisha Choumin hervorzuheben, welche den Abend besonders aufwerten. Insgesamt sind es die großen Plenums-Szenen, die herausstechen: Die stimmungsvolle Wirkung gelingt durch ein gehaltvolle musikalische wie auch theatrale Abstimmung und zeigt großes Feingefühl, was alle Mitwirkenden betrifft. Auch die Maske und die Kostüme, die die Zeit der Goldenen Zwanziger“ aufgreifen, sind äußerst nennenswert.

Das Umschreiben des originalen literarischen Stoffs gelingt durch ganz neu geschriebene Dialoge, welche ausgespielt werden, aber teilweise auch durch die wörtliche Übernahme mancher Textpassagen, wodurch die Handlung erzählt, aber nicht oder nur sehr schlicht gezeigt wird.

Das hat zur Folge, dass zentrale Motive und Fragen – beispielsweise die moralische Instanz, die als ein ominöses paar Augen („Gott sieht alles!“) erscheint – zwar präsent sind, doch die Handlungsstränge, welche ohnehin teilweise sehr komplex sind, nicht immer ganz durchgeknüpft werden. Das ergibt sich wohl auch durch die Verdichtung und Etikettierung der Handlung, die die Form des Musiktheaters zu versprechen scheint.

Theatrale Wirkung und emotionalen Tiefe

Doch an der Wirkung und emotionalen Tiefe, die die Texte durch das Schreiben und Spiel der Schülerinnen und Schüler erreichen, ist ganz und gar nicht zu zweifeln. Auch der Wechsel zwischen der bereits genannten Gesangseinlage und den zahlreichen Tanz-Szenen sowie einem Gedicht in englischer Sprache und sogar einer Rückblende bilden einen dichten und fordernden, aber sehr spannenden dramaturgischen Ablauf, welcher durch die Musik stets koloriert und getragen wird.

Die Auflösung der Handlung findet sich im mutmaßlichen Tod Gatsbys, der durch eine Affäre und die gelüfteten Geheimnisse das Schicksal auf sich nimmt. Er steht letztlich weder als Antagonist noch Protagonist da, doch markiert dieser Tod das Ende der vermeintlich schön-goldenen Welt, die er und die um ihn herum sich aufgebaut hatten. Ähnlich wie der Börsencrash auf die 1920er Jahre, wirkt ein Autounfall (,Crash‘) sich auf ihr Leben aus.

Zwei Abenden mit Full House und anhaltendem Applaus 

Die Arbeit der Schülerinnen und Schüler, welche zwar von der Schulleitung und vor allem auch von Florian Würl und seiner Technik-AG durchgehend unterstützt wurde, aber immer von Schülerseite getragen und verantwortet wurde, ist äußert beeindruckend. Ihnen gelingt es, ohne Regie und Organisation jeglicher Art (in Form einer Lehrkraft), eine sehr wirkungsvolle Vorstellung auf die Beine zu stellen, welche an zwei Abenden mit Full House und anhaltendem Applaus belohnt wird.

  • Die Begeisterung auf der Bühne und vor der Bühne über das gelungene Theaterprojekt ist riesig: Alles wurde selbst geschrieben, inszeniert, choreographiert, komponiert, arrangiert und dirigiert.
  • Die vier Köpfe des Gatsby”-Projektes (v.l.n.r.): Luisa Schwarz (Musik), Judith Becker (Text), Jonathan Walcher (Musik) und Frieda Rothe (Text und Regie).

Vielmehr war es Frieda Rothe, die mit Unterstützung von Judith Becker, die Regie und künstlerische Leitung überaus gekonnt übernahm und die wiederum zusammen mit Judith, Livia Schuierer und Josefine Unseld-Weiand das Drehbuch geschrieben hat.

Die Musik, welche brillant von Luisa Schwarz und Jonathan Walcher dirigiert und selbst komponiert beziehungsweise arrangiert wurde, zeugt von starker musikalischer Begeisterung, die auch beim Publikum ausgelöst wird. Eine durch und durch gelungene (und erwünschte) Rückkehr des Musiktheaters am Gymnasium bei St. Stephan!