Der Panther ist tot! Der Panther ist tot!
„Das Leben schreibt doch die schönsten Geschichten.” – Mit diesem Satz schloss die Aufführung des Stücks „Der Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt des Mittel- und Oberstufentheaters. Und eine eben solche „schönste Geschichte” wurde dem Publikum an zwei Abenden von den Schülerinnen und Schülern präsentiert. Von Bobby-Car-Zügen über Blasmusik hin zu hüpfenden Rehen wurde den Zuschauern einiges geboten.
Das Stück begann mit vier Güllenern, die am Bahngleis die vorbeifahrenden Züge beobachten. Die triste Atmosphäre der Stadt wurde dadurch verdeutlicht, dass die vier Stadtbewohner nichts Aufregenderes zu tun haben, als die vorbeifahrenden und nicht-haltenden Züge ausführlichst hinsichtlich Abfahrts- und Zielort, sowie diversen Zwischenhalten und sämtlichen Zeitpunkten zu beschreiben. Schon in dieser Anfangsszene zeigte sich, dassdie Darsteller in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur lediglich Text auswendig gelernt, sondern sich ebenfalls hinsichtlich passender Gemütslagen, ausgedrückt in Mimik, Gestik und einer der Situation entsprechenden Intonation, Gedanken gemacht hatten.
Der überraschende Auftritt der „Alten Dame”, der herrischen Claire Zachanassian, sorgt aufgrund ihrer verfrühten Ankunft für großen Aufruhr unter den hoffnungsvollen Güllenern, da diese einen grandiosen Empfang für ihre einstige Mitbürgerin geplant hatten. Als Claire im Anschluss nun trotzdem noch den Schulchor, der ihr zu Ehren am Bahnsteig singen wollte, zu hören bekommt, war jedem Zuschauer klar: Bei diesem Gesang des Chors musste das gesamte musikalische Talent eines musischen Gymnasiums aufgefahren werden! Kurzum: Dieser Chor sang grandios schief, was im Publikum durchaus das ein oder andere Schmunzeln und unterdrücktes Gelächter nach sich zog.
Nach diesem ersten großen Auftritt des Dorfes Güllen war spätestens offensichtlich, wie viele Schülerinnen und Schüler in mehrfach wechselnden Rollen an diesem Stück beteiligt waren. Es folgten im Verlauf des Stücks noch weitere größere und kleinere Highlights, von denen hier nur ein kleiner Auszug angeführt sei:
Der äußerst glaubwürdige schuldbewusste Ausdruck auf Alfred Ills Gesicht, kurz nachdem seine Frau aufgrund der ausführlichen Beschreibungen Claires – in Bezug auf die gemeinsame Vergangenheit der beiden – fluchtartig die Bühne verlässt. Der Baum, der sich kurzerhand in ein Reh verwandelt, das von der Bühne hoppelt. Alle Auftritte des Chors – unbeschreiblich passend, lustig und genau so, wie man sich einen Schulchor eines kleinen Städtchens nicht vorstellen würde. Die – nicht ganz glaubwürdige – Unschuld der Dorfbewohner während der Suche nach dem entlaufenen Panther, die sowohl in ihren Stimmen als auch ihrer Mimik in den Gesprächen mit Alfred erkennbar war. Die nicht mit Worten beschreibbaren monotonen und immer wiederkehrenden Gitarren- und Gesangseinlagen des Butlers (Robin Weiß). Der Moment, als die ganze Bühne mitten in der Szene dunkel wird, da die Technik auch ihren eigenen großen Auftritt haben wollte. All diese kleinen und größeren Momente haben im Publikum Schmunzeln, Lächeln, Lachen ausgelöst, auch wenn sie vielleicht an der ein oder anderen Stelle zunächst Verwunderung hervorgerufen haben.
Nun ist Friedrich Dürrenmatts „Besuch der alten Dame” eine Tragödie, die sich komödiantischer Elemente bedient: Der Darstellerwechsel bei der rachsüchtigen Claire (Edina Sailer, Eunike Sailer, Olivia Seel) und ihrem einst rassigen, jetzt gelähmten Liebhaber Ill (Adrian Knöll, Elia Babick, Laurentin Voit) von Akt zu Akt holte in der Personenregie manche überraschenden und tragischen Facetten aus diesen beiden Hauptfiguren heraus. Und auch das Wechselspiel von Konsumlust und Humanitätsideal, das selbst bei Geistesgrößen wie dem Lehrer (Leon Schwede) oder Empathiemeistern wie dem Pfarrer (Johanna Warmuth) ohne Gewissensschaden kippen kann, rührt an.
Spielleiter Markus Müller arbeitet mit einer spartanischen Bühne: Mit wenigen Alltagsgegenständen und einigen großen Holzwürfeln werden geschickt sowohl die Petersche Scheune, als auch der Konradsweilerwald, die Bahnhofstoilette, das Wirtshaus „Zum goldenen Apostel“ und noch einige weitere Schauplätze dargestellt. So bleibt viel Spielraum für die jungen Akteure und für das „Kopfkino” der Zuschauer. Der komödiantische wie tragische Abend, nah am Originaltext geführt, kann den Schwung halten und läuft unerbittlich aufs bittere Ende zu: Der Panther – einst Ills Kosenamen – ist tot, und alle kommen gut damit zurecht.