Ein Nachmittag, der unter die Haut ging

  • Der Direktor des TIM zusammen mit Schülerinnen und Schülern im Gespräch mit Abba Naor.
  • Das Orchester begleitet live die Bilder der Künstlerin Esther Glück und zeichnet so im Film Father_​Land_​Scape das Leben von Abba Naor nach.
  • Titelseite des ausgelegten Programms im TIM

Am Mittwoch, den 13. November 2024, fand im Textilmuseum Augsburg (TIM) eine eindrucksvolle Veranstaltung statt, die für alle Teilnehmenden aus drei ausgewählten Augsburger Gymnasien – dem Gymnasium bei St. Stephan, dem Rudolf-Diesel-Gymnasium und dem Maria-Ward-Gymnasium – einzigartig war. Eingeladen waren Schülerinnen und Schüler ab der 10. Klasse, und so begann am Nachmittag ein Programm, das Erinnerungen an die Shoa künstlerisch und menschlich erlebbar machte.

Ein eindrucksvolles Filmprojekt und die Begegnung mit einem Zeitzeugen

Nach einer Begrüßung durch den Direktor des TIM, Karl Borromäus Murr, wurde der Film Father_​Land_​Scape“ der Künstlerin Esther Glück gezeigt. Dieser Film ist etwas Besonderes“, schrieb Robert Allmann, verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am TIM, zuvor in der Einladung an die Stephaner. Es ist eine Zusammenarbeit der Künstlerin mit dem Filmemacher Tom Gottschalk, die das Leben von Abba Naor, einem der wenigen Überlebenden, die heute noch ihre Geschichte erzählen können, auf eindrucksvolle Weise zeigt.“ Begleitet von der live gespielten Musik von Schostakowitsch und Weinberg, vermittelte die Animation des Films auf intensive Weise das Leben und die Erfahrungen von Abba Naor während der NS-Zeit. Der Film, der in neun Stationen Naors Lebensgeschichte erzählt, verwendet visuelle Techniken der Ausradierung, um die Schwere und die Unmenschlichkeit der Erlebnisse zu unterstreichen. Manchmal wollte ich aufstehen und den Raum verlassen“, gestand Naor anschließend. So authentisch waren die Erinnerungen in mir wieder wachgerufen.“

Abba Naor: Überleben und Hoffnung für die Menschlichkeit

Im anschließenden Gespräch, das durch Schülerinnen und Schüler des Rudolf-Diesel-Gymnasiums moderiert wurde, schilderte der mittlerweile 96-jährige Naor seine unfassbaren Erlebnisse. Von seiner Jugend im Ghetto Kaunas bis hin zum Todesmarsch aus dem Konzentrationslager Kaufering berichtet Naor mit eindringlichen Worten, die zugleich eine Mahnung an die Menschlichkeit darstellen: An Gott kann ich nicht mehr glauben, aber ich glaube an den Menschen.“ Er beschreibt, wie er das KZ und den Todesmarsch überlebte, weil er zufällig leicht genug war, um laufen zu können“.

Nach Kriegsende kehrte für Naor langsam wieder Normalität ein. Nach dem Krieg ist es wieder normal gegangen, wir waren wieder wie kleine Kinder. Es ist schwer, die Freude zu erklären. Wir durften uns waschen, wir wurden wie Kinder behandelt.“ Die Leichtigkeit und das Menschsein, das ihm und anderen Überlebenden nach den Schrecken des Krieges gewährt wurden, beschreibt Naor als Paradies auf Erden“.

Das Vermächtnis an die junge Generation

Auf die Frage nach seiner Heimat antwortete Naor bewegend: Litauen ist eine Heimat, eine weitere ist Deutschland und zur anderen Hälfte Israel.“ Auch die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, erklärte er: Man kann nicht nur in der Vergangenheit leben oder mit Hass. Man muss den Hass loswerden.“ Diesen Appell richtete er auch an die heutige Generation und betonte, wie wichtig es sei, ein besserer Mensch zu werden und dem Leben mit Hoffnung zu begegnen. Sein eindrücklicher Rat: Bleibt Mensch, genießt das Leben, geht tanzen, gönnt euch Ablenkung. Ich hoffe, dass die Menschen, die mir heute zuhören, bessere Menschen werden.“

Die Veranstaltung im Textilmuseum Augsburg war mehr als ein Vortrag über die Schrecken des Holocaust. Sie war eine Begegnung mit einem beeindruckenden Menschen und eine eindringliche Aufforderung, in Menschlichkeit und Hoffnung zu investieren.