Ein Postbote ohne Briefe
Pedro Fernández García ist Briefträger auf Lanzarote und hat einen überschaubaren, ruhigen Alltag. Er fährt mit seiner Diensthonda Briefe auf der Insel aus, trinkt Café con leche und kümmert sich um seinen kleinen Sohn Miguel. Doch seit Erfindung des Internets finden sich immer weniger Briefe in seiner Zustellbox. Die Menschen schreiben nur noch Kurznachrichten und so gerät seine berufliche wie private Welt mehr und mehr ins Wanken, bis sie schließlich kippt. Denn Pedro, die Hauptfigur des Romans, ist ein analoger Mensch, er hält wenig von modernen Dingen wie aufgeschäumter Milch im Kaffee oder gar der Digitalisierung. Ganz anders als Carlota, seine große Liebe. Stattdessen wischt er seit Kindheit beständig mit der Hand über alle Arten von Oberflächen, lässt sich von Routinen und Kaffeeduft beruhigen oder blickt lange auf das Famara-Massiv im Norden der Insel.
Kraftvolle Dialoge und emotionale Befindlichkeiten
Das Gefühl der Melancholie, das aus der Hingabe an vergangene Zeiten und dem Aufbruch in die Moderne heraus entsteht, wusste der Dramatiker ganz gezielt bei den Zuhörerinnen und Zuhörern in der Aula zu erwecken. Er las aus den ersten vier Kapiteln seines Buches und zeichnete die Lebenssituation der Figuren Pedro, dessen Freundin Carlota sowie Kumpel Tenaro so lebendig und tragisch-komisch, dass das Publikum zwischen Lachsalven und einer gewissen Traurigkeit hin- und herschwankte. Mal intensiv, mal lakonisch präsentierte er die vielen Dialoge zwischen Pedro und Carlota am Handy, wenn sie ihn nötigte, ernsthaft über seine Zukunft nachzudenken oder den gemeinsamen Sohn gut auf dem Motorrad zu sichern. Wunderbar dramatisch gestaltet war auch der abenteuerliche Ausflug von Vater und Sohn gemeinsam mit Tenaro im vierten Kapitel, um historischen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Am Ende dieser vier Kapitel und der Lesung stand Pedro allein, verlassen von Carlota und Miguel, am Anfang eines neuen Lebensabschnitts.
Seinen Stoff findet Rinke in der Welt und in diesem Fall direkt in seiner Umgebung, denn er besitzt seit mehreren Jahren ein Haus auf Lanzarote. Der boomende Tourismus, die vulkanische Schönheit der Landschaft, aber auch die sich verschärfende Flüchtlingsproblematik finden Eingang in seine Texte.
Herrliche Zugabe: „Meine schlimmste Lesung“
Dass Rinke ein brillanter Vorleser ist, weil er als Dramatiker selbstverständlich genau weiß, wie die Stimme einzusetzen, Passagen zu intonieren und Pathos hinzuzugeben ist, stellte er schon mehrfach unter Beweis und wurde dafür mit riesigem Applaus von den Zuhörerinnen und Zuhörern belohnt. Doch seine Lesungen scheinen nicht immer derart gut anzukommen, wie er selbst in seiner Zugabe an das Augsburger Publikum berichtet. In der von ihm kürzlich verfassten SZ-Kolumne „Meine schlimmste Lesung“ geht es über ein Fiasko im Lübecker Buddenbrook-Haus, wo er Günther Grass bei einer Lesung des Bildungsromans „Der grüne Heinrich“ vertrat – und für den Geschmack des dortigen Publikums die anfänglichen Landschaftsbilder des ca. 200 Jahre alten Textes viel zu wenig herausarbeitete. Rinke ist moderner Dramatiker, der es versteht, Emotionen, Spleens und Eigenschaften seiner Figuren herauszuarbeiten. Und eben kein Landschaftsmaler!
Umrahmt wurde die Lesung von feiner Musik. Luisa und David Schwarz spielten passende melancholische Stücke auf Keyboard und Saxophon.