Entdeckungsfahrt ins Trentino

  • Über Trient schauen Max und Sinan, die beiden Italienreisenden” des Jahrganges 2024/25, hinweg: Einprägsame Blicke in das Tal der Etsch und in eine alte Kulturlandschaft von großer Vielfalt.
  • Von oben ergibt sich ein eindrucksvoller Blick über die Altstadt von Trient, wo sich das Tal der Etsch weitet.
  • Das Mausoleum Cesare Battistis oberhalb von Trient erinnert bis heute an den Mann, der für die Autonomie des Trentino sein Leben eingesetzt hatte.
  • Der Dom San Vigilio von Trient ist über dem Grab des Stadtpatrons Vigilius erbaut und war im 16. Jahrhundert der Ort des bis heute prägenden Konzils von Trient.
  • Der Renaissance-Innenhof im Castel del Buonconsiglio gehört zu den reizenden Orten der mächtigen Burganlage, die über Jahrhunderte der Sitz der Fürstbischöfe von Trient war.
  • Im Inneren des Castel del Buonconsiglio in Trient schauen sich Max und Sinan hier keltische Funde an.
  • Die frühromanische Kirche Sant‘ Apollinare in Trient weist mit ihren Materialien bis in die Römerzeit zurück.

Schon während der Anreise nach Trient winkte uns vom Zug aus ein integraler Bestandteil dieser Studienfahrt zu. Diesem Zaunpfahl maßen wir noch keinerlei Bedeutung zu, schließlich stellte er mitnichten eben jenen Wahrzeichen eine Konkurrenz dar, für die wir sechs Stunden Zugfahrt auf uns genommen hatten – über den Brenner, einen Alpenpass, den die Kelten, die Römer schon benutzt hatten, der eine erhebliche Funktion im Alpenhandel von der Antike über das Habsburgerreich und letztendlich bis heute erfüllt hat und erfüllt. Erwähnter Zaunpfahl war aber gar kein Zaunpfahl, sondern zunächst vielmehr ein unspektakuläres Plakat, befestigt an der Flanke eines mittelhohen Berges mit der Aufschrift: Zum Gedenken an Cesare Battisti.“ Dieser italienische Irredentist, sein Mythos und seine Bedeutung für die von uns besuchte Gegend sollten sich im Grunde zu einem roten Faden der Reise entwickeln.

Der Dom von Trient war spektakulär, der Fürstbischofssitz atemberaubend, der alpine Traditionskräutergarten botanisch hochinteressant. Aber alle diese Wahrzeichen sind nur Merkmale, Symptome, ja Zeugen eines einzigartigen Kulturraums, der geprägt ist von den Resten des Nationalismus in Europa und seiner Lage am Übergang der Alpen.

Doch in dieser Brückenfunktion zwischen Nord und Süd, die diese europäische Region seit jeher hatte, und der Person Cesare Battistis zeigen sich auch ihre Extreme. Schon am ersten Abend bei der Ankunft wurde klar, wie sehr Trient von den Einflüssen von nördlich und südlich der Alpen geprägt ist. Nicht nur Pizza gab es, sondern auch Knödel und statt Brot waren auch Brezeln erhältlich. Neben dem Palast einer italienischen Adelsfamilie stand einer der Fugger. Und die romanische Kathedrale wurde von einem Zwiebeldach geziert, das sich so auch in Bayrisch-Schwaben finden ließe, hat Hans Holl es ja in die Reichsstadt, nach Augsburg, gebracht. Er ist der Vater eben dieses Elias Holl, der dann den Renaissancebaustil wiederum von Venedig über die Alpen gen Norden brachte.

  • Die Basilica Palladiana in Vicenza ist ein meisterhaftes Bauwerk des Renaissance-Architekten Andrea Palladio und ist als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
  • Auch dieses Bauwerk in Vicenza entstand nach den Entwürfen Andrea Palladios: Die Loggia Valmarana erhebt sich in den Salvi-Gärten über einen Kanal.
  • Mit den Ferrovie dello Stato Italiane ging es nach einem erlebnisreichen Tag in Vicenza zurück nach Trient.
  • Im Museum der Alpini, der italienischen Gebirgstruppen, wird die Geschichte dieser prägenden Militäreinheit anschaulich erzählt.
  • Der Zyklus der Monate zeigt einzigartige profane mittelalterliche Fresken im Castel del Buonconsiglio. Der Monat Oktober entfaltet szenenreich das Motiv der Weinlese.

Überall stachen ebensolche Wechselwirkungen hervor, die Zeugnis waren eines kulturell durchlässigen und facettenreichen Alpenraumes, eines Alpenraumes, der nun viel weniger als Barriere oder Grenze, sondern viel mehr als kultureller Botschafter zwischen Mittelmeerraum und Mitteleuropa in Erscheinung tritt. Mit Ötzi ist er sogar Zeugnis einer der ältesten Transferregionen der Welt, einer Region jedoch, die für die Idee des Nationalismus einen ganz besonders hohen Blutzoll zahlen musste, die eigentlich den großen Gegenpol zu der Geschichte Cesare Battistis und letztendlich des italienischen Faschismus bildet, aber ebensolche Menschen mit solchen Ideen hervorbrachte. Sie scheint unter ihrer Besonderheit bis heute zu leiden. Sie konnte ein Pulverfass sein, war als Region der Diversität trotzdem immer geeint, nämlich als Brücke im Alpenraum.

Das Trentino ist wegen seines Zugangs zu Trinkwasser, seiner geschützten Lage durch die Berge und seines Zugangs zur Etsch lange vor den Römern besiedelt worden. Bereits die Kelten bewohnten die fruchtbaren Täler, wie es im Bischofspalast ausgestellte Funde beweisen. Nach dem Zusammenbruch“ Westroms und der kurzzeitigen Rückeroberung durch Justinian, gelangte Trient dann in Folge des Anschlusses des Langobardenreichs in die Hand der Franken – und von dort im Laufe der Geschichte an die Habsburger, die es mittels Fürstbischöfen regierten. Dann 1914: Erster Weltkrieg. Der Fleckenteppich auf dem Stiefel hatte sich inzwischen unter dem Banner des Nationalismus geeint. Und das Banner pochte auf die Eroberung des Nordens, Befreiung“ der dort ansässigen italienischsprachigen Bevölkerung, Verdrängung der deutschsprachigen. Dieser Versuch einer ideologischen Befreiung ließ den südlichen Alpenraum zu einem der brutalsten Schlachtfelder der Geschichte werden. Hunderttausende fielen in Gefechten, die oft in über 3000 Metern Höhe bei Extremwetter geführt worden waren. Kaiserjäger gegen Alpini, Italiener gegen Österreicher, aber eigentlich Nachbarn gegen Nachbarn, Bekannte gegen Bekannte und Freunde gegen Freunde. Nach dem Horror des Ersten Weltkrieges schien in der Gegend wieder Ruhe einzukehren, nicht aber ohne Narben.

Cesare Battisti, ein Name, dem wir im Laufe der Reise immer näherkamen. Anfangs eine Statue hier, ein Gedenksatz dort, doch dann plötzlich: sein Hinrichtungsort, eine Ausstellung über ihn, ein Wanderweg hoch zu einem gigantischen Mausoleum, seine Namenszüge sogar in anderen Städten wie Vicenza. Und immer die Frage: Wer ist dieser Mann? Wer ist er, so dass man ihn überall sieht?

Cesare Battisti, geboren am 4. Februar 1875 in Trient, damals Österreich-Ungarn, gestorben 1916 ebendort. Als sozialistischer Abgeordneter des österreichischen Reichsrats und Tiroler Landtags arbeitete er lange in Habsburger Diensten. Als Irredentist, also ein extremer italienischer Nationalist, der alle Zughörigen seiner Ethnie einem Staat zugeordnet sehen möchte, notfalls mit Gewalt, trat er als solcher 1915 auf der Seite Italiens in den Krieg gegen Österreich ein. Ein Irredentist aus Trient, Säure in der feinen kulturellen Verzahnung dieser Region, und Sinnbild für den Horror, den solche Ideen für eine Region bereithalten können. Im Ersten Weltkrieg wegen Volksverrats zum Tode verurteilt, starb er bei seiner Hinrichtung den italienischen Heldentod. Für seine Anhänger ist er ein Märtyrer, verehrt bis zum heutigen Tag. Die Blumen im Mausoleum sind noch frisch. Und immer diese Frage: Was bedeutet so ein Mann für eine Region wie diese und warum wird seine Ideologie sehr spärlich kritisiert und sein Tod zum Opfer für die Nation (v)erklärt?

Cesare Battisti war nicht der Schlusspunkt. Unter dem Italo-Faschismus wurde die Nationalität in den absoluten Mittelpunkt gestellt. Propaganda dafür kann man in Trient bis heute sehen: Große brutalistische Gebäude und gigantische Wandgemälde mit verherrlichenden Texten – der Faschismus und sein Radikalnationalismus veränderte das Klima der Region erneut. Wunden, die heute wieder von der postfaschistischen Regierung Meloni aufgerissen werden, und die bis heute währen, wie der Fall Jannik Sinner zeigt: Dem südtirolischen Tennisspieler wurde in der italienischen Presse jüngst vorgeworfen, sein Vater weigere sich, ein Wort Italienisch zu sprechen.

All diese Aspekte waren sichtbar in der Stadt, in der Region, im Trentino, in dem es Olivenöl und Brezeln zu erwerben gibt. Im Trentino, wo Häuser nach Habsburger Stil Schulter an Schulter mit italienischen Palazzi stehen. Im Trentino, in dem eine der ältesten Versionen der deutschen Sprache noch gesprochen wird, das Zimbrische, und gleichzeitig eine einzigartige italienische Mundart gepflegt wird. Im Trentino, in dem ein Irredentist zum Märtyrer erklärt wird, und zwar in einem Habsburger Fürstbischofspalast, in dem gleichzeitig eine Ausstellung zur Einigung und Erhaltung der besonderen Mixkultur gezeigt wird. In der die Autonomie betont wird, die inzwischen herrscht, und der Stolz auf die Diversität. Im Trentino, das so viel mehr ist als österreichisch oder italienisch. Und das sich in einer Tatsache trotzdem bis heute einig ist, nämlich als einzigartige Provinz des südlichen Alpenraums.