Lebendig, markant, mitreißend
Die weite Halle der Großen Aula der Reischle’schen Wirtschaftsschule (RWS) war kühl, als an einem Sommernachmittag Anfang Juli die ersten jugendlichen Künstlerinnen und Künstler eintrafen. Eine Generalprobe und 90 Minuten Konzertzeit später lag eine Hitzewolke über den 650 Sitzplätzen. Ein Feuerwerk aus vielschichtigen Rhythmen, wuchtigen Klängen und ungestümer Energie war niedergegangen: Die Darbietung der „Carmina Burana” – der „Beurer Lieder” aus dem literarischen Schatz des Klosters Benediktbeuern – aus der musikalischen Feder von Carl Orff hatte zu dieser Aufladung geführt.
Um die „Überwältigungsästhetik” der Orff’schen „Kantate” zu bewältigen, war die Kooperation von zwei Gymnasien mit musischen Zweigen notwendig: Das Nikolaus-Kopernikus-Gymnasium in Weißenhorn und das Gymnasium bei St. Stephan. Neben den Schulchören und Kinderchören der Unterstufe und den beiden Schulorchestern wurden musikalische Ehemalige, Eltern und Kollegen mit eingeladen. Rund 250 Aktive fanden sich da in der RWS auf und vor der Bühne auf riesigem Raum ein. In einer temporeichen Kaskade von 25 Nummern wurde die Lebensfreude besungen, die um Herausforderung durch das Schicksal und Betörung durch Liebe, Tanz und Rausch weiß.
Gerahmt vom wuchtig-lastenden „O Fortuna” (Nr. 1 und 25), das als Ohrwurm aller beteiligten Jugendlichen wohl noch lange nicht ausgedient hat, ging’s in den Frühling (Nr. 3 – 5), auf den „Anger” zum Tanz (Nr. 6 – 10), ins Wirtshaus (Nr. 11 – 14) und an die heimlichen und betörenden Orte der Liebe (Nr. 15 – 24). Zugleich bedeutete das, dass man als Zuhörer in Orffs facettenreiche Rhythmik und Melodik, Dynamik und Besetzungstechnik hineingezogen wurde.
Großchor, Kinderchor, Männerchor und drei Solostimmen geben dieser Vielfalt Gestalt. Sopranistin Victoria Wohlfarth war hier nicht die einzige Überraschung: Mit einer schon weit ausgereiften Stimme und hoher Professionalität war die Oberstufenschülerin von St. Stephan eindrucksvoller Teil des Gesamtensembles. Girard Rhoden, Stimmbildner der Weißenhorner Chöre, gab als hoher Tenor gekonnt den überaus herausfordernden „Schwan” (Nr.12 in der Mitte des Zyklusses) und hätte dazu gerne auch nach vorne aufs Solistenpult kommen dürfen: Denn diese Nummer gehört zum Witzigsten und Ironischsten, was die „Carmina” zu bieten haben. Zentrum der Solopartien war aber Bariton Günter Papendell, Sänger an der Komischen Oper in Berlin und Altstephaner, der stimmlich, aber auch gestisch und performant zu zeigen wusste, welch unterschiedliche Gefühlswelten und Gemütslagen in der Partitur durchlaufen werden.
Eine besondere Erwähnung neben den Orchestermusikerinnen und ‑musikern verdienen allerdings die Schlagwerker: Sie haben in den „Carmina Burana” Großes zu leisten und dürfen dazu das gesamte Instrumentarium auffahren. Wie hier aber mit Schellen, Becken, Pauken, Stabspielen, Glocken und mehr die dynamische Seele des Klanges gesetzt wurde, war unnachahmlich.
Großer und rundum verdienter Applaus brandete am Ende auf und großer Dank ging an die beiden Ensembleleiter Ulrich Graba (Augsburg) und Tobis Keck (Weißenhorn) und ihre Teams und Ensembles. Was hier auf, vor und hinter der Bühne, aber auch vor, während und nach der Darbietung zu leisten war, geht weit über die Möglichkeiten von Schulen hinaus. Kein Wunder also, dass in dieser Entladung von 90 Minuten all das zündete, was in Bewegung gesetzt worden war.