Mission Video-Meetings: Weiterentwicklung des Distanzunterrichts
„Videounterricht ist fast schon wie im Klassenzimmer!” Diese Schülermeinung bringt Mathematiklehrer Hans-Joachim Hofmann am zweiten Tag des Distanzunterrichts aus einer Mittelstufenklasse mit in eine Lehrer-Videokonferenz. Während des Wiederanfahrens des Unterrichts für die Abiturienten Ende April hatte St. Stephan mit der Firma kiwitalk in Pullach bei München Kontakt aufgenommen und Anfang Mai einen Vertrag für diese Konferenzplattform geschlossen. Seitdem haben sich Schritt für Schritt immer mehr Lehrkräfte in das Werkzeug eingearbeitet, das auf der freien Videokonferenz-Software Jitsi basiert, seine Server in Deutschland hat, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auch bei Gruppen anbietet und komplett datenschutzkonform arbeitet. All diese Aspekte sprechen seit dem Frühjahr für die Jitsi-Lösung, die zudem in den ersten Monaten über eine zweckgebundene Spende einer Schülerfamilie finanziert werden konnte.
Mit dem Ausrufen eines – zunächst einmal – dreiwöchigen kompletten Distanzunterrichts im Januar 2021 war für die Verantwortlichen schnell klar, dass nun die an St. Stephan im Wechselunterricht bereits intensiv genutzte Lernplattform mebis ein Stück zurücktreten sollte, um über einen videobasierten Unterricht mehr Struktur, Kontakt und Direktheit in den Lernalltag zu bringen.
Ab dem Dreikönigstag, der den Schulen Planungsgewissheit gebracht hatte, gab es engen Kontakt mit den IT-Partnern von kiwitalk in Pullach. Der dortige Geschäftsführer Sebastian Keith Bayer meinte auf den Gesprächsanstoß, dass St. Stephan ab 11. Januar 2021 mit über 600 Nutzerinnen und Nutzern auf den gemieteten Server zugreifen wolle, nur: „Sportlich, aber vorstellbar!” Vereinbart wurde ein nochmaliges Software-Update am vorausgehenden Wochenende, eine Veränderung der Zugangsregeln mit zunächst abgeschalteten Mikrophonen und Kameras und eine detaillierte Überwachung des ersten Tages.
Zahlreiche Lehrkräfte gingen sehr motiviert ans Werk: Hinterlegung von meeting-begleitendem Unterrichtsmaterial auf mebis, Einbauten von Tischkameras und Zweitbildschirmen auf den heimischen Schreibtischen und sogar die Einrichtung einer Grünwand im Hintergrund für Überblendverfahren zählen dazu. Doch die Erfahrungen des ersten Tages mit videobasiertem Unterricht waren durchwachsen: Es gab ganz ruhig laufende und gelingende Stunden – von Gesprächsunterricht bis Medienfeuerwerk. Die Rückmeldungen aus dem Kollegium und die Auswertung der Daten bei kiwitalk zeigten aber, dass neben Problemen in den Privathäusern (zu schwaches WLAN, Überlastung der Hausanschlüsse durch zeitgleiches Homeoffice und Distanzunterricht etc.) vor allem die hohe Parallelität von Aktivitäten den Server überlasteten, wenngleich der verfügbare Arbeitsspeicher von 16 Gigabyte zu keiner Zeit auch nur annähernd ausgereizt wurde.
Damit war am Montagnachmittag klar: Der eingeschlagene Weg eines grundsätzlich videobasierten Klassenkontakts über Jitsi in Verbindung mit mebis als Plattform für alle Arten von hinterlegten Unterrichtsmaterialien inklusive Einreichungsmöglichkeit, zu dem auch in den Familien mit der Geräteversorgung und der Ausstattung mit stabilen Leitungskapazitäten vermutlich vieles bereits beigetragen worden war, soll beibehalten und weiter verbessert werden.
Das Mittel der Wahl hieß Entzerrung: Nach dem telefonischen Anmieten eines zweiten Servers, was die Aktivitäten je Server halbiert, stieg der kiwitalk-Techniker in den Serverraum und konfigurierte innerhalb von wenigen Stunden das Gerät, das noch am Montagabend einsatzbereit war. Die Zuweisung der Hälfte aller Unterrichtsmeetings auf den neuen Server, die Information der Lehrkräfte über die Strukturveränderung und die Benachrichtigung der Eltern liefen Hand in Hand. Am Dienstagmorgen zeigte sich dann sehr rasch: Der Aufwand hat sich gelohnt. Viele Konferenzen liefen am zweiten Tag des Distanzunterrichts rund, auch die Bild- und Tonnutzung, die ja gerade für eine Klassenatmosphäre und gymnasiale Gesprächskultur wesentlich sind, klappten erfreulich gut und zeigten die Stärken von Jitsi, das auch eine parallele Chat-Funktion hat und Bildschirmeinblendungen aller Art ermöglicht.
Hinter diesen Unterrichtsformen steckt großes Engagement derer, die die beständigen Anpassungs- und Weiterentwicklungsprozesse – bei aller pandemiebedingten Kurzfristigkeit – vertrauensvoll begleiten. Insbesondere die Lehrkräfte setzen im Moment viel Eifer und persönliche Mittel ein, so dass der am Dienstag veröffentlichte Satz von Kultusminister Michael Piazolo wie ein großes Versprechen klingt: „Der vielfach zum Alltag gehörende Rückgriff auf Privatgeräte der Lehrkräfte ist keine dauerhaft tragfähige Lösung”. Bei all den bekannten Problemen im Bildungsbereich zeigt das aktuelle Geschehen auch am Gymnasium bei St. Stephan aber etwas sehr Eindrucksvolles: Eltern, IT-Partner, Schulleitung sowie vor allem Lehrerinnen und Lehrer geben immer wieder aufs Neue für unsere Kinder und Jugendlichen ihr Bestes.