Mit der „Steinhammerstraße“ in den Klostergarten
Im Rahmen der alljährlichen Autorenbegegnung „Literatur im Klostergarten” von St. Stephan wurde heuer der Autor Jörg Thadeusz begrüßt.
In Dortmund geboren, wuchs der Autor in der für den Roman namensgebenden „Steinhammer“-Straße auf, studierte einige Semester an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitete unter anderem als Hilfskraft in den Liegewagen der deutschen Schlafwagengesellschaft. Ab den 90er Jahren machte er sich im Kulturbetrieb einen Namen und ist heute insbesondere als Podcaster, Journalist und Moderator bekannt.
Sound des Ruhrpotts
In einer angeregten Plauderei mit dem Publikum über den vermeintlichen Reichtum der Stadt Augsburg, den Kölner Karneval und darüber, warum es doch nicht zu einer Hochzeit zwischen ihm und der Sängerin Pink kam, zeigte sich Thadeusz wahrhaft begeistert von der Idylle des Klostergartens und beschwor, die herannahenden dunklen Wolken einfach „wegzulesen“.
Diesem Motto folgend führte er das Publikum in die Steinhammer-Straße in Lütgendortmund: Hier prägen Elend und die Hoffnungslosigkeit der Nachkriegszeit das Milieu. Während draußen die kohleverladenden Güterwaggons auf den Schienen donnern, träumt man hinter den verschmutzen Häuserfronten von einem besseren Leben. Die Jugend trinkt Edelkirsch aus der Flasche, bewundert die „Blue Jeans“ der Fremden und tanzt zu Schlagern von Freddy Quinn oder Vico Torriani.
Diese Songs spielten die Musiker Bastian Walcher sowie dessen Söhne David und Jonathan in Bandformation und brachten damit den Sound des Ruhrpotts zwischen die Apfelbäume und Rosenranken des Klostergartens.
Ein Kohlenpottjunge
Der Protagonist des Romans ist der junge Edgar Woicik, der nach Abschluss der Schule im Friseursalon seines Onkels und Stiefvaters Jupp arbeiten soll. Ihm ist es aber zuwider, „dreißig Jahre in dieser Scheißstraße irgendwelchen Scheißleuten die Murmel zu rasieren“. Daher beginnt er eine Lehre als Schaufensterdekorateur, wird schnell als „Akademiematerial“ identifiziert und kann ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie beginnen. So muss sich Edgar gegen sein Herkunftsmilieu durchsetzen, für welches Velazquez, der „Herr Kätzchen“ und die Arbeit von Edgar im Atelier höchstens „Killefitt“ ist. Auch an der Akademie eckt er immer wieder an, beispielsweise, weil ihn das „Ohrfeigengesicht“ seines Kommilitonen zum Zorne reizt. Gegen all diese Widrigkeiten kann sich der Protagonist dennoch einen Weg in die Kunstwelt bahnen und wird Meisterschüler bei Joseph Beuys. Schlussendlich muss Edgar die von seinem Professor zu Beginn des Studiums gestellte Frage „Wer sind Sie?“ nicht mehr mit „ein Kohlenpottjunge“ beantworten.
In gewitztem und einfühlsamem Ton erzählt Jörg Thadeusz von Edgars Aufstieg, seinen prägenden Freundschaften und der ersten Jugendliebe. So entsteht eine authentische Geschichte über das Arbeiter- und Kunstmilieu der 50er und 60er Jahre der Bundesrepublik.
Norbert Tadeusz
Die Hauptfigur ist an die reale Person des Künstlers Norbert Tadeusz angelehnt ist. Dieser ist der Cousin von Jörg Thadeusz’ Vater und wirkte in der Düsseldorfer Kunstszene der 60er und 70er Jahre als Maler sowie später als Professor für Monumentalmalerei.
Laut Jörg Thadeusz ist dieser ebenso der „einzige Mensch in seiner Familie, der es zu was gebracht hat“. Im Rahmen der Recherché für den Roman führte der Autor mit vielen Familienmitgliedern und den Meisterschülern des Malers Tadeusz Gespräche, wobei insbesondere dessen cholerisches Temperament – „Wutball, glühender Wutball“ – in Erinnerung geblieben ist.
Ein leidenschaftlicher Erzähler
In den rund eineinhalb Stunden hörten wir viel über die jungen Jahre des Edgar Woicik und erhielten eine Einführung in Werk und Wirken von J. Beuys sowie Norbert Tadeusz. Ebenso erfuhren wir, wie es dem Autor möglich war, die Lebensspuren des Letztgenannten literarisch nachzuzeichnen.
Wir konnten einem leidenschaftlichen Erzähler erleben, der über die Seiten seines literarischen Werkes hinaus noch viel mehr zu sagen hat!