Müde oder mündig? Gefahr und Chance der KI: Der Mensch
Über 200 Leute waren gekommen, um zusammen mit einem hochkarätig besetzten Podium nachzudenken über Künstliche Intelligenz und aufgeklärtes, ethisches Menschsein: Zum „Zukunftsforum 2025” von Förderverein und Gymnasium bei St. Stephan im Kleinen Goldenen Saal unter dem Thema „KI meets Kant – Herausforderungen für eine mündige Gesellschaft” waren auch viele Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und junge Erwachsene gekommen, die wohl Einsichten und Ermutigungen für eine unausweichlich digitale Zukunft suchten – und die sie auch reichlich bekamen.
Mündig sein heißt auch: Selbstkritisch sein
Gegen Ende brachte der Bildende Künstler Felix Weinold, einer der Diskutanten des Zukunftsforums, den zentralen Aspekt auf den Punkt: Aus der Perspektive der Künstlichen Intelligenz ist es gar nicht so vernünftig, mit dem Menschen zusammenzuarbeiten! Und der Philosoph Jörg Noller, ebenfalls Mitdiskutant und zuvor Auftaktredner, meinte resümierend: Das Risiko im Umgang mit der digitalen Technologie sitzt – wie bei jeder Technik – vor dem Gerät, weshalb der zentrale Zugang zur KI-Nutzung die Selbstkritik sein muss: „Manchmal bin ich mir selbst unheimlich!”
Müdigkeit oder Mündigkeit? Autonomie hat nur der Mensch
Auch den Auftakt hatte Jörg Noller, Professor für Philosophie an der Universität Augsburg und forschend sowie publizierend im Bereich der „Philosophie der Digitalität”, gesetzt. In seinem rund halbstündigen Impulsvortrag versah er die KI mit dem Label „gekommen, um zu bleiben” und arbeitete intensiv heraus, dass Künstliche Intelligenz menschengemacht ist – und somit in der Lage und dazu geschaffen, die Autonomie, den Aktionsradius und das Handlungspotenzial des Menschen zu steigern. Damit liegt die elementare Herausforderung auf Seiten des Menschen: Weil diese neue Technik mit uns Menschen interagiert und auch der grundmenschlichen Bequemlichkeit zuarbeitet, wirkt sie auf uns einerseits autonom, andererseits bedroht sie tatsächlich unsere Autonomie. Die aber dürfen wir auf keinen Fall aufgeben. Denn die KI liefert – als nicht-autonome Automation – Ausflüsse aus dem Informationsuniversum, wir aber müssen weiterhin einordnen, bewerten und qualifizieren, in der Sprache der Aufklärung „selbst denken”.
Eins kommt noch hinzu: Arbeitsergebnisse der KI suggerieren uns das Gefühl von „Öffentlichkeit” – die lediglich eine „Simulation” ist –, während doch wir es sind, die öffentlich denken, reden und somit als Weltbürger handeln können. Darum gilt es, dass wir die KI im Bewusstsein unserer Autonomie und Handlungsmacht trainieren: fair, objektiv, neutral, vielsprachig (nicht nur englisch), kulturbewusst (nicht nur westlich) und vor allem human-wertebasiert. Aus „Müdigkeit” könnte somit wieder „Mündigkeit” werden, statt von der KI „überredet” zu werden, entstünde eigene „Überzeugung”, wir empfingen nicht „Wahrheit”, sondern – was schon viel wert ist – „Wahrnehmung”.
Das Forum als Diskussionsplattform
Unter der Gesprächslenkung von BR-Moderator Uli Knapp (Abitur an St. Stephan 2022) kamen nun unterschiedliche Perspektiven auf das Thema in den Blick. Peter Müller, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, machte für die journalistische Arbeit deutlich, dass KI-Chatbots recherchieren und Informationen filtern helfen, dass aber die Arbeit des Erschließens und kritischen Sichtens von Quellen beim ausgebildeten Journalisten bleiben. In Form von „Faktenchecks” und „Medienschulungen” (Woran erkenne ich ein gefälschtes Bild?) entstünden mittlerweile journalistische Verfahren, die mithelfen, menschliche Mündigkeit und Autonomie gegenüber der Technologie zu wahren und zu stärken.
Der Blick der Wirtschaft und der Unternehmen
Sabine Erlebach, die einst bei der MAN einen anfangs belächelten „Internet-Führerschein” entwickelt hat und mittlerweile in der Beratung von Unternehmen in Strategie und Organisationsentwicklung tätig ist, gab dem Blickwinkel der Wirtschaft eine starke Stimme: Noch immer werde Qualifizierung zu stark als Wissenserwerb gedeutet. KI könne aber genau all das liefern, „was Menschen schon gedacht haben.” Viel wichtiger seien aber mittlerweile Optimismus, Intuition, Resilienz und soziale wie kommunikative Befähigungen. Künstliche Intelligenz werde also helfen, den Bereich des Fachlichen und Methodischen zu entlasten und die humanen Faktoren von Arbeit – Ideen, die noch nicht gedacht worden sind – sichtbarer und wirksamer zu machen. Umsteuerungen brauche es daher im Bereich des Lernens und der Schulen.
Die Perspektive der Lehrer und des Bildungswesens
Damit war Bernhard Stegmann, der Leiter der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung Dillingen (Schulleiter an St. Stephan von 2015 bis 2021), direkt angesprochen. Er konnte Susanne Erlebach nur Recht geben und übertrug die Beobachtungen auf die Schule: Lehrerinnen und Lehrer „bleiben im Rennen”, weil sie Beziehung, Rückmeldung und Prozessgestaltung des Lernens ins Bildungsgeschehen bringen. Zugleich werde immer spürbarer, dass das Lernen gerade im Bereich des Übens und von der Seite des Prüfungswesens her neu gedacht werden müsse. Und Stegmann brach eine Lanze für die Vielfalt, die durch Lehrkräfte und ihre facettenreichen Begabungen und Schwerpunktsetzungen in Bildung und Erziehung kämen. Der Weg werde zwischen „Euphorikern” und „Verweigerern” verlaufen müssen. Mit über 40.000 Fortbildungen im Digitalbereich werde aber sichtbar, dass Bayerns Lehrkräfte den Aufbruch in die neuen Herausforderungen schon längst vollzogen haben. Es werde sehr bald auf den Gesetzgeber und neue Regulierungen ankommen – und damit auf die wertebasierte, bürgerschaftliche Willensbildung.
Mit den Augen des Künstlers auf KI geblickt
Einen wertvollen Part übernahm der Augsburger Bildende Künstler Felix Weinold (Abitur an St. Stephan 1980), der neben den bildgebenden Produktionen der KI vor allem über die Würde des Menschen in seiner Kreativität reflektierte: KI-generierte Bilder hätten wenig Stimulationskraft („Original und Kopie regen unterschiedliche Hirnregionen an.”); er befrage die KI zu Kunstprojekten, um genau das bewusst zu vermeiden, was der Computer vorschlage; der große Universalkönner Leonarda da Vinci hätte die KI mit Sicherheit genutzt – und ziemlich schnell an ihre Grenzen gebracht; und niemand möge doch auf den unendlichen Genuss verzichten, „aus dem Nirgendwo etwas Neues herüberzuziehen”, was nur der Mensch könne. Bildhaft gesprochen: „Leute lernt angeln! Wer einen Fisch hat, isst für einen Tag. Wer einen Korb Fische hat, wird für eine Woche satt. Wer eine Angel hat, wird nie mehr hungrig sein!”
Werkzeug bleibt Werkzeug, der Mensch bleibt Schöpfer
Nach dieser Aufforderung, die Angeln der menschlichen Kräfte und Fähigkeiten autonom und selbstbewusst einzusetzen – und dabei eben auch sehr bewusst „Angeln”, also gute Werkzeuge zu verwenden –, durfte Christine Sommer, die Vorsitzende des Vereins der Freunde und Förderer des Gymnasiums bei St. Stephan, den Abend beschließen. Sie dankte den Gästen und durfte an jeden eine Flasche „Zukunftswein” überreichen. Und der Ringschluss zum Anfang war augenfällig, wo Schüler Elias Huth die klanglichen Dimensionen seines Fagottes mit Hilfe einer Loop-Machine erheblich ausgeweitet hatte: Mensch-Maschine-Interaktion unter der schöpferischen Gestaltungskraft eines mündigen Individuums!