Ozeanische Gedächtniskoffer des Unrats

  • Die Körper von Meerestieren und die Plastik-Hinterlassenschaften unserer Zivilisation: Aus diesem Widerspruch speist sich der Kurzfilm …
  • Die Hüter des Unrats” von Susann Maria Hempel. Bei der Schülerakademie im Frühjahr 2025 stellte sie ihre Arbeit anhand dieses Fimes vor.
  • Auf Reisen hat Susann Maria Hempel an Stränden Plastikmüll gesammelt, sortiert und thematisch wie farblich geordnet …
  • … und in einem leerstehenden Gebäude eine Art Museum errichtet, wo sich in zahlreichen Bilderrahmen schnelle Szenenfolgen abwechseln.
  • Unser Müll wird als Hinterlassenschaft gedeutet, die in den Tieren der Weltmeere sein Archiv eingelagert hat. Im zweiten Teil des Filmes …
  • … wird diese seltsame, lebensbedrohende und tödliche Vermengung museal aufbereitet.

Abfall und Ästhetik? Nicht unbedingt das Erste, was einem als typische Kombination einfällt. Aber in ihrem Kunstfilm Die Hüter des Unrats“ schafft Susann Maria Hempel es trotzdem meisterhaft, beides miteinander zu verbinden und dennoch die Kritik nicht abstumpfen zu lassen. Am Montag den 12. Mai 2025 präsentierte sie ihr mehrfach preisgekröntes Kunstwerk den Schülerinnen und Schülern der Schülerakademie von St. Stephan – für sie genauso wie für die Jugendlichen eine Première.

Bevor sie jedoch mit ihrer Vorstellung begann, eröffnete Matthias Ferber, Mitarbeiter im Direktorat, die Veranstaltung mit einer kurzen Rede und gab darin Antworten auf Fragen, die sich wohl jeder schon einmal gestellt hat, der von der Schülerakademie gehört hat: Was ist das und warum gibt es das eigentlich?

Das Stichwort hierfür heißt Horizonterweiterung: Wer sich in vielen Bereichen etwas auskennt, lernt multiperspektivisch zu denken und so fundiertere Entscheidungen zu treffen. Deshalb möchte die Schülerakademie besonders interessierten und erfolgreichen Schülern im Laufe der Oberstufe Einblicke in möglichst viele verschiedene Bereiche geben und ihren Horizont so um Gebiete erweitern, in die man von sich aus eher weniger vordringen würde. Zum Beispiel experimentelle Kunstfilme, ein Genre, das normalerweise eher für ein Nischenpublikum produziert wird, aber, wie wir lernen durften, nicht dort bleiben sollte! Denn die schönen wie tiefsinnigen Produkte würde man niemandem vorenthalten wollen.

Nach der Eröffnung sicherte sich Susann Maria Hempel sofort die Sympathie der Gruppe, indem sie mit ihrer humorvollen und ungekünstelten Art ihre Nervosität eingestand und mit den Jugendlichen gemeinsam einen Ablauf für den Vormittag entwickelte.

Ohne viele Worte vorauszuschicken präsentierte sie uns dann ihren zwölfminütigen Kurzfilm Die Hüter des Unrats. Eine kleine Geschichte des Abfalls“ in der zur echten Filmatmosphäre verdunkelten Kleinen Aula. Der Film ist ganz anders als beispielsweise Spielfilme oder Dokumentationen: Er verbindet eindrückliche wie ästhetische Bilder mit poetisch-tiefsinnigen Texten und reflektiert die Rolle des Abfalls als Archiv menschlicher Zivilisation. Im Müll kann man intimer als irgendwo sonst vieles über das Leben von Menschen erfahren: Was sie gegessen, gesammelt, kaputtgeliebt haben.

Von dem Gedanken des Müllarchivs wandern die Bilder anschließend zum größten Sammelplatz für Abfall aller Art: Dem Meer. Dort werden lebende Organismen zu einem Gedächtniskoffer unserer Lebensweise durch ihren unverdaulichem Mageninhalt wie Plastiktüten, kaputten Spielzeugpuppen oder Kabel.

Als Zuschauer fliegt man scheinbar mit dem Müll in dieses organische Archiv des Magens und findet sich dann überraschend in einem grotesken Museum wieder: Auf Stangen gespießt reihen sich Tierkadaver mit geöffneten Bäuchen aneinander, aus denen Kabel, Plastikfetzen und weiterer Plastikschrott herausragen.

Der Film endet mit dem mehrsprachig wiederholten Aufruf, das Museum zu verlassen, da es in Kürze schließt, dann wird die Leinwand schwarz.

Auch auf der Bildebene ist nichts zufällig: Den Großteil des Films hindurch wird eine weiße Wand mit Bilderrahmen verschiedener Formate gezeigt. In diesen Rahmen laufen teils unterschiedliche Videos parallel, teils sind Polaroid-Bilder von Mageninhalten von Seetieren zu sehen. In Slow-Motion schweben abstruse Müll-Gebilde, wie aus einem zerfleddernden Huhn und einem Rohr, durchs Bild. Zeichnungen wechseln sich mit Video- und Röntgenaufnahmen ab. Farben und Formen sind genau abgestimmt und trotz des Themas sehr ästhetisch, wodurch sie noch tiefere Ebenen ansprechen als nur den Verstand oder das Auge.

  • Mit reichem Bildmaterial führte Filmkünstlerin Susann Maria Hempel ihr jugendliches Publikum an ihre Schaffensprozesse heran und zeigte die Fülle an Arbeitsschritten und auch ‑unterbrechungen, aus denen ihre Werke hervorgehen.
  • Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren vom Akademietag zum Thema Kunstfilm” und von der sehr unmittelbaren und authentischen Art von Susann Maria Hempel berührt.

An dem angeregten Applaus und den zahlreichen interessierten Fragen direkt nach der Vorführung merkte man, dass der tiefsinnige Film niemanden kalt gelassen hatte.

Und so erzählte uns Susann Maria Hempel noch vieles über die Filmentstehnung, die alles andere als geradlinig verlief, die verwendeten Techniken und über die Branche der Kunstfilmmacher. Dabei berührten ihre Antworten oft ihre eigene Lebensgeschichte, die sie aus ihrer thüringischen Geburtsstadt Greiz, damals noch Teil der DDR, nach Weimar, Bremen und schließlich zurück nach Greiz führte. Dort baute sie auch alle Kulissen und nahm ihren Film auf, an dem sie über 10 Jahre hinweg gearbeitet hat.

Besonders spannend war dabei, wie die heutige Gestalt des Filmes aus Misserfolgen, Zufällen und kreativen Inspirationen durch andere Künstler entstanden ist: Die Idee für den Raum mit den Bilderrahmen kam nämlich zum einen durch die Schwierigkeit, die unterschiedlichen Formate der Videoschnipsel in einen Film zu gießen, und zum anderen durch das Konzept von Liebhaberkabinetten in der Kunst. Das sind Gemälde, die selbst eine Sammlergalerie von Gemälden abbilden und so Bilder im Bild sind.

Zum Abschluss des Vormittags wurde der Film noch einmal im Lichte der ganzen neuen Informationen und Hintergründe angesehen und mit entsprechendem Applaus quittiert.

Susann Maria Hempels Fazit: Die Vorstellung war auch für sie was ganz Besonderes“ und am liebsten würde sie gleich nochmal von vorne beginnen.