Raus bist du! – Mobbing im Unterstufentheater
Ein grauenhaftes Thema: Menschen, die einander missachten und beschädigen. Kinder, die ihren Egoismus durchsetzen und dabei andere unter die Räder bringen. Schüler, die mobben! „Problemtheater“, könnte man meinen. Was aber die Theatergruppe der Unterstufe unter der Leitung von Sarah Hieber auf die Bühne unserer Großen Aula brachte, war etwas völlig anderes: Da trafen sich Poesie und Phantasie mit einem liebevollen und hintergründigen Blick für alle Menschen, auch für die scheinbaren Bösewichter.
Laufsteg der kindlichen Eitelkeiten
Das Spiel beginnt mit einer Art Laufsteg: Jedes Kind hat seinen Auftritt und stellt sich vor. Buben, die Fußball oder Computer lieben. Mädchen, die gerne tanzen oder shoppen. Lebensechte Unterstufe. Kindheit von heute, hier und jetzt. Und nun treffen sich diese Kinder in einer Klasse, wo einem als Erwachsener, egal ob Lehrer oder Eltern, alles bekannt vorkommt: Liebeleien, Pöbeleien, Ernst und Eifer, Faulheit und Abschreiben.
Carola, die gut in Mathe ist, kommt plötzlich in die Klemme, denn sie will Melanie einfach nicht mehr abschreiben lassen. Und als Melanie daraufhin Ärger mit ihrer Mutter kriegt, lässt sie alles an Carola aus. Und dass sie dafür die Geburtstagsparty eines an-deren missbraucht, der Carola als einzige nicht einlädt, das tut schon beim Zuschauen so weh. Sogar Tobias, der (weil ebenfalls nicht eingeladen) mit Carola ins Kino wollte, wird kurzerhand zum superwichtigen Ehrengast der Party – nur um Carola ganz ins Abseits zu stellen. Was soll Tobias anderes tun, als in seinem riesigen inneren Zwiespalt der Dynamik der Gruppe zu folgen.
Täter und Opfer – und Mitläufer und zuguckende Weggucker
All diese Stufen der Eskalation, der Ausgrenzung und Vereinsamung, des Bauchwehs und der Schlaflosigkeit erzählen die Buben und Mädchen dieser Theatergruppe voller Poesie: Das Publikum erfühlt und erspürt, was hier vorgeht. Aus Schmerz wird Wut, und aus Wut wird Grausamkeit, und aus Grausamkeit wird Schmerz – nur eben bei jemand anderem.
Die Dialoge sind einfach, aber sehr authentisch. Die Stufen des Geschehens sind blitzlichtartig gezeigt, aber mit ganz prägnanten Gesten, mit einer unglaublich glaubwürdigen und packenden Mimik und Darstellungskraft. In einer Art „Echoraum“ der Träume, des allgemeinen Bewusstseins, der tieferen Weisheit gibt es eine Gruppe von Clowns: Das sind Klassenkameraden, die so alt sind wie Carola. Sie kennen jeden in dieser beteiligten Gruppe: Die Akteure, die Zuschauer, die Mitläufer, die Mitmischer. Sie aber spüren – als Kommentatoren – in traumwandlerisch sicheren Reflexionen all die Traurigkeiten und Verletzungen. Und auch diese Szenen boten so viel Poesie! Weinende Clowns, grübelnde Clowns, suchende Clowns … – Tolle Szenen, mit wenig Text, aber mit gewaltiger Ausdrucks- und Berührungskraft.
Aufbruch aus der lähmenden Tatenlosigkeit
Die Rettung kommt durch den Mathelehrer, Herrn Hieber, der die Klasse einbindet und die positiven Kräfte entfaltet: Carola geht es schlecht, wir sollten ihr helfen. Was kannst DU dafür tun? Viele sind froh, endlich aus der Lähmung ausbrechen zu können und sogar die mobbende Melanie wird zur Nachdenklichkeit geführt. In einer erneuten Blitzlicht-Folge wird Carola zurückgeführt in die Gemeinschaft, zu der sie das Vertrauen verloren hatte: Durch Hallosagen, durch Gespräche, durch Erstwahl beim Sport findet sie wieder Zeichen in ihrem Leben, angenommen zu sein.
Ein berührender Theaterabend der Ermutigung
Das Stück ”Raus bist du!“, von der Eukitea-Schauspielerin und Theaterpädagogin Sarah Hieber aus einem Drei-Personen-Stück zu einem Ensemble-Stück für 30 Kinder weiterentwickelt, war temporeich, impulsstark, spielintensiv und technisch anspruchsvoll durch seine Schnitttechnik und seinen Andeutungsstil. Und so entstand die Poesie dieser Theaterstunde, die tief berührte. Ich musste an Sokrates denken: Kein Mensch tut willentlich das Böse. Aber man muss willentlich dahin kommen, dem Bösen entgegenzuwirken.
Großes Lob für diese wunderbare Spielgruppe und ihre ebenso starke Leiterin Sarah Hieber, die es im dritten Jahr an St. Stephan geschafft hat, als externe Theaterlehrerin einen überzeugenden Spielstil etabliert zu haben. Ebenso großes Lob für die jungen Darsteller mit ihrer Spielfreude und Lebensechtheit. Und ebenso großes Lob für die Technik, die an einem Wochenende dabei mithalf, die vielen Fäden dieses Stückes in Licht, Ton und Raum zu einem überzeugenden Gewebe zu bündeln.
Als Erwachsene wissen wir jetzt wirklich, wie man Mobbing begegnet: Das Gute stärken, die Freude aller an der Gemeinschaft zum positiven Thema machen, auch den Schwierigen die Kraft zur Verwandlung zutrauen. – Nein, das war kein grauenhaftes Thema: Das war ein wichtiges, schönes und ermutigendes Thema für alle, die dabei waren.