Schule im Seniorenheim? – Schulerinnerungen bleiben
Ist es eigentlich egal, auf welche Schule man geht? Werden die wenigen Jahre nicht überschattet von Familie, Beruf und anderem? Nein, es ist nicht egal, denn diese Jahre und die Erinnerungen, die man in ihnen sammelt, bleiben prägend bis ans Lebensende. Das durfte auch die Klasse 6c am Dienstag, den 16. April 2024 erleben, als sie das Seniorenheim St. Afra des SkF besuchte.
Eine Idee nimmt Gestalt an
Drei Jahre hat es von der Idee bis zur Umsetzung gedauert: Corona und auch Kommunikationsschwierigkeiten wirkten verzögernd. Ich hatte mir damals im Rahmen meiner Ausbildung zur Wertebotschafterin die Aktion mit anderen ausgedacht und geplant. Das Ziel: „Gemeinsam statt einsam“, älteren Menschen in Altenheimen Zeit schenken, ihre Geschichten hören und selbst etwas aus dem Alltag der Kinder erzählen. Ein Generationenaustausch. Aber die Hoffnung war auch, einigen Senioren, die sich vielleicht abgeschoben oder vergessen fühlen, ein gutes Gefühl zuteil werden zu lassen.
Eine Klasse war schnell gefunden, einige Zeit später auch ein Seniorenheim: Das St. Afra-Heim hat durch die Leitung des SkF, der auch unsere Mensa betreibt, eine besondere Verbindung zu St. Stephan. Die Vorbereitungen in der Klasse wurden mit Unterstützung von Karin Bäumler schließlich getroffen. Und dann war es soweit: Am Dienstag ging es mit der ganzen Klasse auf ins Heim. Dort warteten schon die etwa 20 Senioren in einem Aufenthaltsraum auf uns. Für viele der Kinder war es der erste Kontakt mit einem Altersheim. Das konnte man an der gespannten Stille der sonst überaus lebhaften Klasse bemerken. „Ich lieb den Frühling …“ sangen die knapp 20 Kinder zur Begrüßung im Kanon. Im Anschluss spielten sie eine Mathestunde nach, was auf beiden Seiten für viel Gelächter sorgte. So bekamen die älteren Menschen auch einen Einblick in den Alltag der Schüler (wenn auch mit einem Augenzwinkern: manchmal, so das Gerücht, wird in einer Mathestunde ja tatsächlich Mathe gemacht).
Erinnerungen an Kindheit und Schulzeit
Dann kam das Herzstück des Besuchs: Eine Fragerunde der Kinder an die Senioren mit vorab gesammelten Fragen. Wie menschliche Erinnerung funktioniert, hat sich hier eindrucksvoll gezeigt. Vieles war verschwommen, vergessen oder nur bruchstückhaft noch im Gedächtnis, die Kindheit und Schulzeit hingegen waren noch sehr präsent und abrufbar. Da war zum Beispiel die Dame, die sich noch an die vielen Strafen in der Schule („Tatzen, Tatzen, Tatzen“) erinnerte und das heute undenkbare An-den-Haaren-Ziehen für ungehorsame Schülerinnen. Oder der Herr, der bis zuletzt an seiner Zimmertüre ein Schild mit Aufschrift „Altstephaner“ hängen hatte. Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen, doch eines zog sich durch: Die besuchte Schule und die Erlebnisse dort zeigten ihre Prägung bis zuletzt und waren nicht verdrängt von den vielen anderen Jahren.
Auch von Seiten der Seniorinnen gab es einige Fragen an die Kinder, so zum Beispiel die Frage, ob die Kinder überhaupt gerne bei ihnen zu Besuch wären. Diese Frage spiegelte für mich berührend das Gefühl mancher Senioren wider, abgeschoben und ein „Sozialfall“ zu sein, zu dem man Kinder schleppt, um etwas „Nettes“ zu tun. Es war deswegen besonders schön, die Kinder ehrlich sagen zu hören, dass sie gerne dort wären und auch gerne nochmals kommen würden. Zum Abschluss wurde „Alle Vöglein sind schon da“ gesungen, mit begeistert-nostalgischer Unterstützung durch die Senioren.
Glücksmomente und neue Einsichten
Was der Ausflug bei jedem Einzelnen bewirkt hat, kann ich nur erahnen. Aber er hat auf jeden Fall einige Kinder zum ersten Mal mit dem Altern und dem Verfall des menschlichen Lebens konfrontiert. Kaum einer aus der Klasse war zuvor schon einmal in einem Altenheim gewesen.
Außerdem gab uns der Tag die Möglichkeit, Menschen, die an unserer Gegenwart als ihrer Zukunft gebaut haben, ein Dankeschön zu geben und ihnen zu zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben. Besonders hat mich auch gefreut, dass die Heimleitung rückmeldete, dass auch die Heimbewohner den Besuch genossen hätten und sie gerne nochmal ein solches Projekt durchführen würden. Es wird also wohl nicht das letzte Mal gewesen sein, dass es Austausch zwischen St. Stephan und dem Afra-Heim gegeben hat.