Theaterspaziergang vom Olymp bis in den Hades
„Vom Olymp bis in den Hades – und zurück”: So lässt sich der herrliche Theaterspaziergang zusammenfassen, zu dem am Dienstag, den 12. Juli 2022 das Unterstufentheater geladen hatte. Die Sechstklässler zeigten an diesem warmen Sommerabend unter freiem Himmel, wie aus der coronabedingten Arbeit im Freien das berührend schöne Konzept entstand, die Theaterbesucher auf einen Theaterspaziergang mitzunehmen.
Hinter St. Stephan – am Gallusbergle, an der Stadtmauer, auf der Schwedenstiege und am Ufer des Unteren Grabens – hatte die 13-köpfige Gruppe unter der Anleitung von Theaterpädagogin Sarah Hieber grandiose, überraschende und magische Plätze ausfindig gemacht, um den antiken Mythos von „Amor und Psyche” zu erzählen. Rund 50 Gäste waren gekommen und spazierten unter der feinen Führung der jungen Akteure von Spielszene zu Spielszene.
Der Auftakt vor St. Stephans Schultor führte schnell in die Geschichte ein: Psyche (von wechselnden Mädchen verkörpert) ist so wunderschön, dass Aphrodite keine Verehrung mehr abkriegt und dadurch voll geladen ist. Auf dem kleinen Plateau an der Nordseite der Galluskirche konnte man zum ersten Mal in die Götterwelt hineinschauen und auch Amor kennenlernen, der Psyches Liebhaber wird. Sie darf ihn nur niemals sehen und weiß folglich nicht, wer ihr wunderbarer Liebhaber und Freund ist.
Unterhalb der Stadtmauer erlebte das Publikum die zunehmende Verknotung von Psyches Lebensgeschichte: Ihre königlichen Eltern verzweifeln angesichts der liebestollen Bewunderer ihrer Tochter und wenden sich an das Orakel in Delphi. Und nun wird Psyche auf Weisung des Apoll ausgesetzt und lebt mit Amor in einem wunderschönen Schloss. Doch eines Nachts verbrennt er sich an Psyches Öllämpchen den Arm und ist betrübt. So steigt auch die eifersüchtige Mutter des Amor, Aphrodite, wieder ins Geschehen ein, um die Liebe wieder zu kitten. Denn ein liebeskranker Amor taugt nichts. Dafür muss Psyche in die Unterwelt steigen und mit Charon über den Styx fahren.
Diese Szenen am Venezianischen Brunnen unterhalb der Schwedenstiege oder im Hohlweg am Ufer des Unteren Grabens waren von betörender Schönheit – nicht nur die Zuschauer, auch die Kinder genossen die Schlüssigkeit und intensive Atmosphäre dieser großartigen „Kulissen”.
Aus Persephones Reich holte Psyche nun eine Schönheitssalbe, die sie allerdings – entgegen aller Gebote und Warnungen – doch an sich selbst erprobt und dabei umkommt. Jetzt aber fährt sie auf zum Olymp – womit die Theaterspaziergänger wieder am Galluskirchlein angekommen sind –, wo Zeus endlich Frieden schaffen kann. Aphrodite versöhnt sich und die beiden Liebenden, Amor und Psyche, können sich endlich für immer in die Arme schließen. Ein Happy End nach einer Dreiviertelstunde im milden Abendlicht an Augsburgs Stadtmauer.
Das Konzept des „Theaterspaziergangs” brachte beeindruckende Ideen der Kinder hervor, die äußerst kreativ die Szenenauswahl und die Texte selbst hergestellt hatten: Starke Charaktere (wie die dominante Aphrodite oder der weise Zeus) und anrührende Momente (wie Psyches Tod an der Graffiti-Wand des Stromverteiler-Häuschens) gab es da ebenso zu sehen wie heitere und kabarettistische Nummern, vor allem aber ein untrügliches Gefühl für die tollen Szenerien, Lichteffekte und Eindrücke an den ausgewählten Stadtmauer-Stellen.
Am Ende des Theaterspaziergangs überreichte Theaterpädagogin Sarah Hieber, die mit ihrer Erfahrung und feinen Lenkkraft viele Freiräume für die Kinder geschaffen hatte, jeder und jedem aus dem Ensemble einen Becher „Götterspeise”. So fand ein probentechnisch schwieriges und unruhiges Jahr mit einer ansprechenden, ja köstlichen Aufführung sein beglückendes, ja olympisches Ziel.