Wie Gefängnisse zeitgemäß werden könnten

  • Anwalt und Strafverteidiger Dr. Thomas Galli gab den Schülerinnen und Schülern bei seinem Akademie-Workshop viel Raum. Sind unsere Gefängnisse in ihrer heutigen Form noch zeitgemäß? Es gab viele Fragen dazu.
  • Interessant waren auch die Fälle, die Anwalt Galli – durchaus mit einer gewissen Nähe zu seiner Tätigkeit als Strafverteidiger – von den Schülerinnen und Schülern durchsprechen und zu einer Entscheidung führen ließ.

Am Freitag, den 25. November 2022, fand die erste Veranstaltung der Schülerakademie in diesem Schuljahr statt. Die Schülerakademie St. Stephan“ ist ein Projekt zur Begabtenförderung, in deren Rahmen über das Schuljahr verteilt Referenten an die Schule kommen, Exkursionen stattfinden und ähnliches. Eingeladen werden die Modellklassenschüler der Oberstufe sowie besonders leistungsfähige Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 11 und 12.

Zu Beginn stellte Schulleiter Alexander Wolf den Referenten, Altstephaner Dr. Thomas Galli vor. Dieser arbeitete als Jurist einige Jahre lang als Leiter zweier Justizvollzugsanstalten und würde uns von seinen Erfahrungen berichten, aber auch seine Kritikpunkte am aktuellen System darlegen.

Zunächst durften wir uns in selbst gewählten Gruppen mit verschiedenen Fällen auseinandersetzen. Unsere Aufgabe war es, uns Gefängnisse und aktuelle Gesetze wegzudenken und zu entscheiden, wie wir mit der Person verfahren würden, mit deren Fall wir uns beschäftigten.

In meiner Gruppe ging es um einen Ehemann, der seine Ehefrau im Streit erschlagen, aber zwei minderjährige Kinder hat, die sehr an ihm hängen. Schnell fiel auf, dass es einigen sehr schwer fiel, von den aktuellen Gesetzen und Maßstäben loszukommen und rein intuitiv zu entscheiden. Wir waren uns außerdem zwar schnell über die Art der Strafe und die daran gekoppelten Bedingungen einig, aber beim genauen Festsetzen des Strafmaßes hatten wir unterschiedliche Meinungen. Nach 20 Minuten hielten wir fest, dass der Täter eine Gefängnisstrafe bekommen sollte, sich einer Aggressionstherapie unterziehen und soziale Arbeit leisten sollte. Die Kinder sollten ein möglichst uneingeschränktes, tägliches oder wöchentliches Besuchsrecht in einer nicht traumatisierenden Umgebung bekommen.

Bei der anschließenden Besprechung im Plenum hörte sich Dr. Galli unsere Vorschläge an und verglich diese mit der aktuellen Rechtslage. Während wir bei einigen Punkten sehr nah an der Realität lagen, war es für mich persönlich beispielsweise sehr überraschend zu erfahren, dass die Kinder nur ein bis zwei Mal im Monat die Chance hätten, ihren Vater zu besuchen. Auch die Tatsache, dass die therapeutische Behandlung im Gefängnis aufgrund des Mangels an Therapeuten eher spärlich umgesetzt werden könnte, war enttäuschend. Meist hatte man doch bereits eine gewisse Vorahnung, aber es war dennoch schade, diese bestätigt zu bekommen.

Nachdem wir alle vier Beispiele nach diesem Prinzip besprochen hatten, stellte uns Dr. Galli einige Schätzfragen, von deren Ausgang die Mehrheit der rund 40 Schülerinnen und Schüler überrascht zu sein schien, z.B. dass es jährlich in Deutschland nur” ca. 220 Morde gibt oder nur 180 Gefängnisse.

Zum Schluss hatten wir die Möglichkeit, Fragen an Herrn Dr. Galli zu stellen. Es ging dabei hauptsächlich um den Beruf des Strafverteidigers, den der Referent nach der Leitung der Justizvollzugsanstalten annahm, sowie um den Alltag und das Leben im Gefängnis. Es war sehr interessant, einen etwas tieferen Einblick in diese so ganz andere Welt zu bekommen, die vermutlich niemand der anwesenden Schülerinnen und Schüler schon einmal selbst erfahren hat. Auch das Aufzeigen von Problemen, die im Gefängnis vermieden und gelöst werden müssen, war aufschlussreich und zeigte noch ganz andere Dimensionen des Gefängnislebens. Nur wenige haben sich wohl zuvor schon einmal darüber Gedanken gemacht, dass man z.B. einen Weg finden muss, Klassenunterschiede unter den Insassen zu vermeiden. Besonders zum Nachdenken angeregt hat auch, dass uns einige Missstände im aktuellen System aufgezeigt wurden, wie z.B. der Personalmangel bei Sozialarbeitern und Therapeuten, für den man zur Zeit noch kaum Lösungen gefunden hat.

Insgesamt waren die drei Stunden ein interessanter Einblick in eine Welt, mit der sich zuvor wahrscheinlich nur die wenigsten bewusst auseinandergesetzt haben. Auch wenn die uns geschilderte Problematik sicher immer noch nur an der Oberfläche kratzt, hat die Tiefe unseres Vordringens bereits zum Nachdenken angeregt und war mit Sicherheit eine Bereicherung für unser Verständnis unserer Gesellschaft.